wahrscheinlich, daß im höheren alterthum auch die nord. mundart untrennb. part. besaß; allein strengen beweis dafür geben sie nicht. Es ist denkbar, daß die verschie- denheiten der bedeutung schon im einfachen verbo gele- gen haben.
4) der mangel dieser partikeln trägt allerdings bei zu der kürze und leichteren bewegung, die dem altn. dialect vor allen andern deutschen eigen ist. Dafür gehen ihm zwei vorzüge ab, welche die partikelcomposition mit sich führt. Einmahl die feinere deutlichkeit und bildung in fällen, wo unterschiede der bedeutung an den partikeln hängen. Dann die dem dichter willkommne freie wahl zwischen der zus. gesetzten und einfachen sorm, da wo beide gleichbedeutig sind. Nachtheil und vortheil wiegen sich ungefähr auf.
5) manche zusammensetzungen mit untrennbarer par- tikel gelten allmählig nicht durch das ganze verbum und zwar nicht im praesens wohl aber im praet., oft nur im partic. praet. Hauptsächlich trifft es die partikeln be-, ge-, er-, ver-, seltner ent- und kaum zer-; unter allen am meisten das ge-. So sagen wir heute unbedenklich: er verstarb, verschied an der krankheit, verblieb zu hause, das wort erstarb ihm auf der zunge; hingegen er stirbt, bleibt da, das wort stirbt ihm. Ahd. und mhd. stehet gi- gern vor praeteritis, unhäufiger im praes. z. b. gesprach Jw. 3b gesach Jw. 3[o] genam Parc. 41b getwuoc Parc. 133b gestieß Parc. 135b gesluoc Trist. 9204. giquad O. IV. 22, 1. andere beispiele s. 843. 844; ich finde be- ran Gudr. 73b beswief fr. bell. 21a, kein berinnet, be- sweifet. Die partikeln scheinen wenigstens den begriff der dauer (der vollbringung meine ich) zu stärken, dem unbestimmten conjunctiv und insinitiv aber seltner zu gebühren, als dem indicativ, vgl. s. 844. das ahd. bari inti gibar. Viel entschiedner ist die einschränkung auf das part. praet. vgl. die mhd. bedrungen Wig. 32. Bit. 122b erborn, erbolgen, erschoben (s. 821.); die nhd. beschaffen, belesen (s. 808.) beeist, behaftet, beherzt, bejahrt, be- kannt (notus, versch. von bekannt confessus), beleibt, betagt, bethränt; entseelt, entwachsen; erpicht, erboßt, erlogen, erstunken (s. 827.); verschämt, verwandt (con- junctus, versch. von verwandt = angewandt) verschie- den (diversus) u. a. m., von dem ge- ist ausgeführt wor- den, nicht nur daß es zu den part. praet. aller verba tritt, die es sonst nicht haben, sondern daß es auch von
III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
wahrſcheinlich, daß im höheren alterthum auch die nord. mundart untrennb. part. beſaß; allein ſtrengen beweis dafür geben ſie nicht. Es iſt denkbar, daß die verſchie- denheiten der bedeutung ſchon im einfachen verbo gele- gen haben.
4) der mangel dieſer partikeln trägt allerdings bei zu der kürze und leichteren bewegung, die dem altn. dialect vor allen andern deutſchen eigen iſt. Dafür gehen ihm zwei vorzüge ab, welche die partikelcompoſition mit ſich führt. Einmahl die feinere deutlichkeit und bildung in fällen, wo unterſchiede der bedeutung an den partikeln hängen. Dann die dem dichter willkommne freie wahl zwiſchen der zuſ. geſetzten und einfachen ſorm, da wo beide gleichbedeutig ſind. Nachtheil und vortheil wiegen ſich ungefähr auf.
5) manche zuſammenſetzungen mit untrennbarer par- tikel gelten allmählig nicht durch das ganze verbum und zwar nicht im praeſens wohl aber im praet., oft nur im partic. praet. Hauptſächlich trifft es die partikeln be-, ge-, er-, ver-, ſeltner ent- und kaum zer-; unter allen am meiſten das ge-. So ſagen wir heute unbedenklich: er verſtarb, verſchied an der krankheit, verblieb zu hauſe, das wort erſtarb ihm auf der zunge; hingegen er ſtirbt, bleibt da, das wort ſtirbt ihm. Ahd. und mhd. ſtehet gi- gern vor praeteritis, unhäufiger im praeſ. z. b. geſprach Jw. 3b geſach Jw. 3[o] genam Parc. 41b getwuoc Parc. 133b geſtieƷ Parc. 135b geſluoc Triſt. 9204. giquad O. IV. 22, 1. andere beiſpiele ſ. 843. 844; ich finde be- ran Gudr. 73b beſwief fr. bell. 21a, kein berinnet, be- ſweifet. Die partikeln ſcheinen wenigſtens den begriff der dauer (der vollbringung meine ich) zu ſtärken, dem unbeſtimmten conjunctiv und inſinitiv aber ſeltner zu gebühren, als dem indicativ, vgl. ſ. 844. das ahd. bâri inti gibar. Viel entſchiedner iſt die einſchränkung auf das part. praet. vgl. die mhd. bedrungen Wig. 32. Bit. 122b erborn, erbolgen, erſchoben (ſ. 821.); die nhd. beſchaffen, beleſen (ſ. 808.) beeiſt, behaftet, beherzt, bejahrt, be- kannt (notus, verſch. von bekannt confeſſus), beleibt, betagt, bethränt; entſeelt, entwachſen; erpicht, erboßt, erlogen, erſtunken (ſ. 827.); verſchämt, verwandt (con- junctus, verſch. von verwandt = angewandt) verſchie- den (diverſus) u. a. m., von dem ge- iſt ausgeführt wor- den, nicht nur daß es zu den part. praet. aller verba tritt, die es ſonſt nicht haben, ſondern daß es auch von
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0886"n="868"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">III. <hirendition="#i">partikelcomp. — untr. part. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
wahrſcheinlich, daß im höheren alterthum auch die nord.<lb/>
mundart untrennb. part. beſaß; allein ſtrengen beweis<lb/>
dafür geben ſie nicht. Es iſt denkbar, daß die verſchie-<lb/>
denheiten der bedeutung ſchon im einfachen verbo gele-<lb/>
gen haben.</p><lb/><p>4) der mangel dieſer partikeln trägt allerdings bei zu<lb/>
der kürze und leichteren bewegung, die dem altn. dialect<lb/>
vor allen andern deutſchen eigen iſt. Dafür gehen ihm<lb/>
zwei vorzüge ab, welche die partikelcompoſition mit ſich<lb/>
führt. Einmahl die feinere deutlichkeit und bildung in<lb/>
fällen, wo unterſchiede der bedeutung an den partikeln<lb/>
hängen. Dann die dem dichter willkommne freie wahl<lb/>
zwiſchen der zuſ. geſetzten und einfachen ſorm, da wo<lb/>
beide gleichbedeutig ſind. Nachtheil und vortheil wiegen<lb/>ſich ungefähr auf.</p><lb/><p>5) manche zuſammenſetzungen mit untrennbarer par-<lb/>
tikel gelten allmählig <hirendition="#i">nicht durch das ganze verbum</hi> und<lb/>
zwar nicht im praeſens wohl aber im praet., oft nur im<lb/>
partic. praet. Hauptſächlich trifft es die partikeln be-,<lb/>
ge-, er-, ver-, ſeltner ent- und kaum zer-; unter allen<lb/>
am meiſten das ge-. So ſagen wir heute unbedenklich:<lb/>
er verſtarb, verſchied an der krankheit, verblieb zu<lb/>
hauſe, das wort erſtarb ihm auf der zunge; hingegen er<lb/>ſtirbt, bleibt da, das wort ſtirbt ihm. Ahd. und mhd.<lb/>ſtehet gi- gern vor praeteritis, unhäufiger im praeſ. z. b.<lb/>
geſprach Jw. 3<hirendition="#sup">b</hi> geſach Jw. 3<hirendition="#sup"><supplied>o</supplied></hi> genam Parc. 41<hirendition="#sup">b</hi> getwuoc<lb/>
Parc. 133<hirendition="#sup">b</hi> geſtieƷ Parc. 135<hirendition="#sup">b</hi> geſluoc Triſt. 9204. giquad<lb/>
O. IV. 22, 1. andere beiſpiele ſ. 843. 844; ich finde be-<lb/>
ran Gudr. 73<hirendition="#sup">b</hi> beſwief fr. bell. 21<hirendition="#sup">a</hi>, kein berinnet, be-<lb/>ſweifet. Die partikeln ſcheinen wenigſtens den begriff<lb/>
der dauer (der vollbringung meine ich) zu ſtärken, dem<lb/>
unbeſtimmten conjunctiv und inſinitiv aber ſeltner zu<lb/>
gebühren, als dem indicativ, vgl. ſ. 844. das ahd. bâri inti<lb/>
gibar. Viel entſchiedner iſt die einſchränkung auf das<lb/>
part. praet. vgl. die mhd. bedrungen Wig. 32. Bit. 122<hirendition="#sup">b</hi><lb/>
erborn, erbolgen, erſchoben (ſ. 821.); die nhd. beſchaffen,<lb/>
beleſen (ſ. 808.) beeiſt, behaftet, beherzt, bejahrt, be-<lb/>
kannt (notus, verſch. von bekannt confeſſus), beleibt,<lb/>
betagt, bethränt; entſeelt, entwachſen; erpicht, erboßt,<lb/>
erlogen, erſtunken (ſ. 827.); verſchämt, verwandt (con-<lb/>
junctus, verſch. von verwandt = angewandt) verſchie-<lb/>
den (diverſus) u. a. m., von dem ge- iſt ausgeführt wor-<lb/>
den, nicht nur daß es zu den part. praet. aller verba<lb/>
tritt, die es ſonſt nicht haben, ſondern daß es auch von<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[868/0886]
III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
wahrſcheinlich, daß im höheren alterthum auch die nord.
mundart untrennb. part. beſaß; allein ſtrengen beweis
dafür geben ſie nicht. Es iſt denkbar, daß die verſchie-
denheiten der bedeutung ſchon im einfachen verbo gele-
gen haben.
4) der mangel dieſer partikeln trägt allerdings bei zu
der kürze und leichteren bewegung, die dem altn. dialect
vor allen andern deutſchen eigen iſt. Dafür gehen ihm
zwei vorzüge ab, welche die partikelcompoſition mit ſich
führt. Einmahl die feinere deutlichkeit und bildung in
fällen, wo unterſchiede der bedeutung an den partikeln
hängen. Dann die dem dichter willkommne freie wahl
zwiſchen der zuſ. geſetzten und einfachen ſorm, da wo
beide gleichbedeutig ſind. Nachtheil und vortheil wiegen
ſich ungefähr auf.
5) manche zuſammenſetzungen mit untrennbarer par-
tikel gelten allmählig nicht durch das ganze verbum und
zwar nicht im praeſens wohl aber im praet., oft nur im
partic. praet. Hauptſächlich trifft es die partikeln be-,
ge-, er-, ver-, ſeltner ent- und kaum zer-; unter allen
am meiſten das ge-. So ſagen wir heute unbedenklich:
er verſtarb, verſchied an der krankheit, verblieb zu
hauſe, das wort erſtarb ihm auf der zunge; hingegen er
ſtirbt, bleibt da, das wort ſtirbt ihm. Ahd. und mhd.
ſtehet gi- gern vor praeteritis, unhäufiger im praeſ. z. b.
geſprach Jw. 3b geſach Jw. 3o genam Parc. 41b getwuoc
Parc. 133b geſtieƷ Parc. 135b geſluoc Triſt. 9204. giquad
O. IV. 22, 1. andere beiſpiele ſ. 843. 844; ich finde be-
ran Gudr. 73b beſwief fr. bell. 21a, kein berinnet, be-
ſweifet. Die partikeln ſcheinen wenigſtens den begriff
der dauer (der vollbringung meine ich) zu ſtärken, dem
unbeſtimmten conjunctiv und inſinitiv aber ſeltner zu
gebühren, als dem indicativ, vgl. ſ. 844. das ahd. bâri inti
gibar. Viel entſchiedner iſt die einſchränkung auf das
part. praet. vgl. die mhd. bedrungen Wig. 32. Bit. 122b
erborn, erbolgen, erſchoben (ſ. 821.); die nhd. beſchaffen,
beleſen (ſ. 808.) beeiſt, behaftet, beherzt, bejahrt, be-
kannt (notus, verſch. von bekannt confeſſus), beleibt,
betagt, bethränt; entſeelt, entwachſen; erpicht, erboßt,
erlogen, erſtunken (ſ. 827.); verſchämt, verwandt (con-
junctus, verſch. von verwandt = angewandt) verſchie-
den (diverſus) u. a. m., von dem ge- iſt ausgeführt wor-
den, nicht nur daß es zu den part. praet. aller verba
tritt, die es ſonſt nicht haben, ſondern daß es auch von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/886>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.