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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. composition ganzer redensarten.
genitivische -s einem zweiten von der praeposition ab-
hängigen subst. angefügt wird, z. b. the king of Saxony's
palace, nhd. des königs von Sachsen palast. Um jenes
logisch zu rechtfertigen, muß man sich die worte king-
of-Saxony in eins versteinert denken und wird dann na-
türlich finden, daß das -s erst am schluße der composi-
tion seinen platz haben kann. So ungewohnt und unedel
in der nhd. schriftsprache eine solche wortfügung wäre,
können wir doch die hernach unter 3. genannten com-
posita nicht anders, als in derselben weise construieren,
z. b. spring-ins-feld's leben, nicht etwa: spring's-ins-feld
leben und das gemeine volk höre ich unbedenklich sagen:
des kaiser-von-Oeftreich's armee stat des schriftgemäßen:
des kaisers v. O. a.

2) der eine dialect erlaubt sich in solchen fällen, was
der andere nicht leidet. Aus unsrer redensart: in acht
nehmen können wir kein subst. in-acht-nehmung bilden.
Nnl. aber gilt ein subst. in-acht-neming, ebenso wird
von dem dän. i-agt-tage das nomen i-agt-tagelse
formiert, ja zum zeichen wirklicher zusammen-
setzung noch weiter componiert; reise-i-agt-tagelser
(reisebemerkungen); ein reise-in-acht-nehmung klingt
uns freilich undeutsch, aber ist unser nhd. nebenbemer-
kung d. h. in-eben-bemerkung im grunde beßer? Hät-
ten nicht unsere vorfahren adverbia wie die nhd. insbe-
sondere, insgemein, insgesammt mit recht verworfen? da
sogar die beiden letzten wider den grundsatz sündigen,
daß nach dem art. das adj. schwache form verlangt. Auf-
gelöst kommt die misform gleich an tag: in das gemein,
m das gesammt st. gemeine, gesammte; es find schlechte
nachahmungen der französ. adv. en particulier, en gene-
ral. Ich werde anderswo erörtern, wie mehrere adj.
der neuern sprachen aus adv. entspringen; der canzlei-
ftil pflegt alsdann auch die partikel un- fehlerhaft anzu-
wenden, z. b. es ist un-vor-handen; un-von-nöthen
(schon bei Fischart, bienenkorb 56a) welches erst nach
dem absterben des wahren sinns der redensarten von
nöthen, vor handen geschehen konnte. In der reineren,
älteren sprache sind solche abirrungen beinahe unerhört.
Doch muß ich hier des sonderbaren adj. ir-halpun-leih
mons. 350. ir-halpan-leih (a für u gesehen?) mons. 395.
gedenken, wodurch das adv. ir halpun (ex latere, de la-
tere) mit leih verbunden wird, gleich als wollten wir un-
ser adv. von unten, von oben in ein adj. verwandeln
und sagen: von-unten-lich.

III. compoſition ganzer redensarten.
genitiviſche -s einem zweiten von der praepoſition ab-
hängigen ſubſt. angefügt wird, z. b. the king of Saxony’s
palace, nhd. des königs von Sachſen palaſt. Um jenes
logiſch zu rechtfertigen, muß man ſich die worte king-
of-Saxony in eins verſteinert denken und wird dann na-
türlich finden, daß das -s erſt am ſchluße der compoſi-
tion ſeinen platz haben kann. So ungewohnt und unedel
in der nhd. ſchriftſprache eine ſolche wortfügung wäre,
können wir doch die hernach unter 3. genannten com-
poſita nicht anders, als in derſelben weiſe conſtruieren,
z. b. ſpring-ins-feld’s leben, nicht etwa: ſpring’s-ins-feld
leben und das gemeine volk höre ich unbedenklich ſagen:
des kaiſer-von-Oeftreich’s armee ſtat des ſchriftgemäßen:
des kaiſers v. O. a.

2) der eine dialect erlaubt ſich in ſolchen fällen, was
der andere nicht leidet. Aus unſrer redensart: in acht
nehmen können wir kein ſubſt. in-acht-nehmung bilden.
Nnl. aber gilt ein ſubſt. in-acht-neming, ebenſo wird
von dem dän. i-agt-tage das nomen i-agt-tagelſe
formiert, ja zum zeichen wirklicher zuſammen-
ſetzung noch weiter componiert; reiſe-i-agt-tagelſer
(reiſebemerkungen); ein reiſe-in-acht-nehmung klingt
uns freilich undeutſch, aber iſt unſer nhd. nebenbemer-
kung d. h. in-eben-bemerkung im grunde beßer? Hät-
ten nicht unſere vorfahren adverbia wie die nhd. insbe-
ſondere, insgemein, insgeſammt mit recht verworfen? da
ſogar die beiden letzten wider den grundſatz ſündigen,
daß nach dem art. das adj. ſchwache form verlangt. Auf-
gelöſt kommt die misform gleich an tag: in das gemein,
m das geſammt ſt. gemeine, geſammte; es find ſchlechte
nachahmungen der franzöſ. adv. en particulier, en géné-
ral. Ich werde anderswo erörtern, wie mehrere adj.
der neuern ſprachen aus adv. entſpringen; der canzlei-
ftil pflegt alsdann auch die partikel un- fehlerhaft anzu-
wenden, z. b. es iſt un-vor-handen; un-von-nöthen
(ſchon bei Fiſchart, bienenkorb 56a) welches erſt nach
dem abſterben des wahren ſinns der redensarten von
nöthen, vor handen geſchehen konnte. In der reineren,
älteren ſprache ſind ſolche abirrungen beinahe unerhört.
Doch muß ich hier des ſonderbaren adj. ir-halpun-lîh
monſ. 350. ir-halpan-lîh (a für u geſehen?) monſ. 395.
gedenken, wodurch das adv. ir halpun (ex latere, de la-
tere) mit lîh verbunden wird, gleich als wollten wir un-
ſer adv. von unten, von oben in ein adj. verwandeln
und ſagen: von-unten-lich.

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[960/0978] III. compoſition ganzer redensarten. genitiviſche -s einem zweiten von der praepoſition ab- hängigen ſubſt. angefügt wird, z. b. the king of Saxony’s palace, nhd. des königs von Sachſen palaſt. Um jenes logiſch zu rechtfertigen, muß man ſich die worte king- of-Saxony in eins verſteinert denken und wird dann na- türlich finden, daß das -s erſt am ſchluße der compoſi- tion ſeinen platz haben kann. So ungewohnt und unedel in der nhd. ſchriftſprache eine ſolche wortfügung wäre, können wir doch die hernach unter 3. genannten com- poſita nicht anders, als in derſelben weiſe conſtruieren, z. b. ſpring-ins-feld’s leben, nicht etwa: ſpring’s-ins-feld leben und das gemeine volk höre ich unbedenklich ſagen: des kaiſer-von-Oeftreich’s armee ſtat des ſchriftgemäßen: des kaiſers v. O. a. 2) der eine dialect erlaubt ſich in ſolchen fällen, was der andere nicht leidet. Aus unſrer redensart: in acht nehmen können wir kein ſubſt. in-acht-nehmung bilden. Nnl. aber gilt ein ſubſt. in-acht-neming, ebenſo wird von dem dän. i-agt-tage das nomen i-agt-tagelſe formiert, ja zum zeichen wirklicher zuſammen- ſetzung noch weiter componiert; reiſe-i-agt-tagelſer (reiſebemerkungen); ein reiſe-in-acht-nehmung klingt uns freilich undeutſch, aber iſt unſer nhd. nebenbemer- kung d. h. in-eben-bemerkung im grunde beßer? Hät- ten nicht unſere vorfahren adverbia wie die nhd. insbe- ſondere, insgemein, insgeſammt mit recht verworfen? da ſogar die beiden letzten wider den grundſatz ſündigen, daß nach dem art. das adj. ſchwache form verlangt. Auf- gelöſt kommt die misform gleich an tag: in das gemein, m das geſammt ſt. gemeine, geſammte; es find ſchlechte nachahmungen der franzöſ. adv. en particulier, en géné- ral. Ich werde anderswo erörtern, wie mehrere adj. der neuern ſprachen aus adv. entſpringen; der canzlei- ftil pflegt alsdann auch die partikel un- fehlerhaft anzu- wenden, z. b. es iſt un-vor-handen; un-von-nöthen (ſchon bei Fiſchart, bienenkorb 56a) welches erſt nach dem abſterben des wahren ſinns der redensarten von nöthen, vor handen geſchehen konnte. In der reineren, älteren ſprache ſind ſolche abirrungen beinahe unerhört. Doch muß ich hier des ſonderbaren adj. ir-halpun-lîh monſ. 350. ir-halpan-lîh (a für u geſehen?) monſ. 395. gedenken, wodurch das adv. ir halpun (ex latere, de la- tere) mit lîh verbunden wird, gleich als wollten wir un- ſer adv. von unten, von oben in ein adj. verwandeln und ſagen: von-unten-lich.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 960. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/978>, abgerufen am 22.11.2024.