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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. composition ganzer redensarten.

3) natürlicher und mehr zu billigen ist die folgende
anomalie: lebendige eigennamen für sachen und personen
(spitznamen) entspringen durch. ausrufungen, das verbum
und was daneben steht, verhärtet sich in uneigentliche
composition, die aber freilich eine verbale heißen darf
(s. 678.).

a) meistentheils ist es der imperativ und zwar wieder-
um a) entweder mit einer bloßen partikel, dahin das nhd.
kehr-aus, kehr-ab, (name eines tanzes) hüpf-auf (desgl.)
weil den tanzenden zugerufen wurde sich zu wenden, zu
springen; reiß-aus (flucht) vom zuruf auszureißen, schab-ab.
Alle solche composita sind männliche subst., wir sagen: den
kehraus tanzen, einen hüpfauf spfelen, den reißaus neh-
men. Ferner die mannsnamen: sebe-recht, thu-gut, haft-
aus, trink-aus, sauf-aus, klaub-auf u. a. m. dergleichen sich
besonders unter den bauern finden; der mhd. name des dich-
ters sing-of f. sing-auf (amgb. CCLXIV. vgl. CCCLXIII.
wo: sing of, sing abe, sing hin, sing her!) pack-an, faß-an
benennungen für hunde. -- b) oder mit einem subft. (im
accus.) daneben: mbd. habe-danc (gratiae) und wiederum
masc. MS. 1, 118b 126b misc. 1, 103. 104; zete-brief (ei-
ner der briefe auszettelt, wahrsager) Herb. 15c; in leit-
vertreip (doloris expulsor) MS. 1, 35b Morolf 45b 57b etc.
nhd. zeit-vertreib ist das subst. dem imp. vorgesetzt, daß
aber vertreip, vertreib imperative sind, leicht zu sehen,
denn es gibt weder ein subst. vertreip noch treip, da die
wurzel no. 128. nur ein subst. trip, nhd. trieb zeugt. Fer-
ner die mannsnamen mhd. raume-lant, hebe-ftreit MS. 2, 73a
spar-helbling (Adelung 2, 134.) nhd. trau-gott, fürchte-gott,
schlichte-groll etc. kratzfuß, wipp-sterz, schnapp-hahn, dreh-
hals, wende-hals; in einem gedicht von Dieterich (Adelung 1,
191. 195. 196.) die riesennamen velle-walt (waldverder-
ber, waltswende) und mit vorgesetztem subst. glocken-boß
(stoß an die glocke) fideln-stoß (streich die fiedel). Die spätere
sprache schiebt gern den artikel den oder das, meist verkürzt,
dazwischen, vergl. die nom. pr. hebenstreit (heb-den-sti eit)
hassenpflug, hastenpflug (haße-den-pflug) scheuchenpflug
(scheu-den-pflug), leidenfrost, stürzenbecher (stürz-den-be-
cher) rührnschalk (rühr-den-schalk) bei Ried p. 1217. vom
jahr 1575. zuckseisen (zücke-das-eisen) klingsohr (?kling-das-
ohr). Im 16. 17. jh. waren sehr üblich: wendenschimpf (wen-
de-den-schimpf, d. i. spaßverderber) H. Sachs, Simplic.
p. 210; wend-unmuth (d. i. freudenmacher) vgl. wendel-
muot MS. 2, 76b; ein saug-den-zipfel hat Phil. von Sit-
tew. noch jetzt üblich ist flörensried (friedensstörer) vgl.

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III. compoſition ganzer redensarten.

3) natürlicher und mehr zu billigen iſt die folgende
anomalie: lebendige eigennamen für ſachen und perſonen
(ſpitznamen) entſpringen durch. ausrufungen, das verbum
und was daneben ſteht, verhärtet ſich in uneigentliche
compoſition, die aber freilich eine verbale heißen darf
(ſ. 678.).

a) meiſtentheils iſt es der imperativ und zwar wieder-
um α) entweder mit einer bloßen partikel, dahin das nhd.
kehr-aus, kehr-ab, (name eines tanzes) hüpf-auf (desgl.)
weil den tanzenden zugerufen wurde ſich zu wenden, zu
ſpringen; reiß-aus (flucht) vom zuruf auszureißen, ſchab-ab.
Alle ſolche compoſita ſind männliche ſubſt., wir ſagen: den
kehraus tanzen, einen hüpfauf ſpfelen, den reißaus neh-
men. Ferner die mannsnamen: ſebe-recht, thu-gut, haft-
aus, trink-aus, ſauf-aus, klaub-auf u. a. m. dergleichen ſich
beſonders unter den bauern finden; der mhd. name des dich-
ters ſing-of f. ſing-ûf (amgb. CCLXIV. vgl. CCCLXIII.
wo: ſing of, ſing abe, ſing hin, ſing her!) pack-an, faß-an
benennungen für hunde. — β) oder mit einem ſubft. (im
accuſ.) daneben: mbd. habe-danc (gratiae) und wiederum
maſc. MS. 1, 118b 126b miſc. 1, 103. 104; zete-brief (ei-
ner der briefe auszettelt, wahrſager) Herb. 15c; in leit-
vertrîp (doloris expulſor) MS. 1, 35b Morolf 45b 57b etc.
nhd. zeit-vertreib iſt das ſubſt. dem imp. vorgeſetzt, daß
aber vertrîp, vertreib imperative ſind, leicht zu ſehen,
denn es gibt weder ein ſubſt. vertrîp noch trîp, da die
wurzel no. 128. nur ein ſubſt. trip, nhd. trieb zeugt. Fer-
ner die mannsnamen mhd. rûme-lant, hebe-ftrît MS. 2, 73a
ſpar-helbling (Adelung 2, 134.) nhd. trau-gott, fürchte-gott,
ſchlichte-groll etc. kratzfuß, wipp-ſterz, ſchnapp-hahn, dreh-
hals, wende-hals; in einem gedicht von Dieterich (Adelung 1,
191. 195. 196.) die rieſennamen velle-walt (waldverder-
ber, waltſwende) und mit vorgeſetztem ſubſt. glocken-bôƷ
(ſtoß an die glocke) fideln-ſtôƷ (ſtreich die fiedel). Die ſpätere
ſprache ſchiebt gern den artikel den oder das, meiſt verkürzt,
dazwiſchen, vergl. die nom. pr. hebenſtreit (heb-den-ſti eit)
haſſenpflug, haſtenpflug (haße-den-pflug) ſcheuchenpflug
(ſcheu-den-pflug), leidenfroſt, ſtürzenbecher (ſtürz-den-be-
cher) rührnſchalk (rühr-den-ſchalk) bei Ried p. 1217. vom
jahr 1575. zuckseiſen (zücke-das-eiſen) klingsohr (?kling-das-
ohr). Im 16. 17. jh. waren ſehr üblich: wendenſchimpf (wen-
de-den-ſchimpf, d. i. ſpaßverderber) H. Sachs, Simplic.
p. 210; wend-unmuth (d. i. freudenmacher) vgl. wendel-
muot MS. 2, 76b; ein ſaug-den-zipfel hat Phil. von Sit-
tew. noch jetzt üblich iſt flörenſried (friedensſtörer) vgl.

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[961/0979] III. compoſition ganzer redensarten. 3) natürlicher und mehr zu billigen iſt die folgende anomalie: lebendige eigennamen für ſachen und perſonen (ſpitznamen) entſpringen durch. ausrufungen, das verbum und was daneben ſteht, verhärtet ſich in uneigentliche compoſition, die aber freilich eine verbale heißen darf (ſ. 678.). a) meiſtentheils iſt es der imperativ und zwar wieder- um α) entweder mit einer bloßen partikel, dahin das nhd. kehr-aus, kehr-ab, (name eines tanzes) hüpf-auf (desgl.) weil den tanzenden zugerufen wurde ſich zu wenden, zu ſpringen; reiß-aus (flucht) vom zuruf auszureißen, ſchab-ab. Alle ſolche compoſita ſind männliche ſubſt., wir ſagen: den kehraus tanzen, einen hüpfauf ſpfelen, den reißaus neh- men. Ferner die mannsnamen: ſebe-recht, thu-gut, haft- aus, trink-aus, ſauf-aus, klaub-auf u. a. m. dergleichen ſich beſonders unter den bauern finden; der mhd. name des dich- ters ſing-of f. ſing-ûf (amgb. CCLXIV. vgl. CCCLXIII. wo: ſing of, ſing abe, ſing hin, ſing her!) pack-an, faß-an benennungen für hunde. — β) oder mit einem ſubft. (im accuſ.) daneben: mbd. habe-danc (gratiae) und wiederum maſc. MS. 1, 118b 126b miſc. 1, 103. 104; zete-brief (ei- ner der briefe auszettelt, wahrſager) Herb. 15c; in leit- vertrîp (doloris expulſor) MS. 1, 35b Morolf 45b 57b etc. nhd. zeit-vertreib iſt das ſubſt. dem imp. vorgeſetzt, daß aber vertrîp, vertreib imperative ſind, leicht zu ſehen, denn es gibt weder ein ſubſt. vertrîp noch trîp, da die wurzel no. 128. nur ein ſubſt. trip, nhd. trieb zeugt. Fer- ner die mannsnamen mhd. rûme-lant, hebe-ftrît MS. 2, 73a ſpar-helbling (Adelung 2, 134.) nhd. trau-gott, fürchte-gott, ſchlichte-groll etc. kratzfuß, wipp-ſterz, ſchnapp-hahn, dreh- hals, wende-hals; in einem gedicht von Dieterich (Adelung 1, 191. 195. 196.) die rieſennamen velle-walt (waldverder- ber, waltſwende) und mit vorgeſetztem ſubſt. glocken-bôƷ (ſtoß an die glocke) fideln-ſtôƷ (ſtreich die fiedel). Die ſpätere ſprache ſchiebt gern den artikel den oder das, meiſt verkürzt, dazwiſchen, vergl. die nom. pr. hebenſtreit (heb-den-ſti eit) haſſenpflug, haſtenpflug (haße-den-pflug) ſcheuchenpflug (ſcheu-den-pflug), leidenfroſt, ſtürzenbecher (ſtürz-den-be- cher) rührnſchalk (rühr-den-ſchalk) bei Ried p. 1217. vom jahr 1575. zuckseiſen (zücke-das-eiſen) klingsohr (?kling-das- ohr). Im 16. 17. jh. waren ſehr üblich: wendenſchimpf (wen- de-den-ſchimpf, d. i. ſpaßverderber) H. Sachs, Simplic. p. 210; wend-unmuth (d. i. freudenmacher) vgl. wendel- muot MS. 2, 76b; ein ſaug-den-zipfel hat Phil. von Sit- tew. noch jetzt üblich iſt flörenſried (friedensſtörer) vgl. P p p

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 961. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/979>, abgerufen am 22.11.2024.