Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
III. composition ganzer redensarten.

c) auch mit dem praes. ind. werden eigennamen ge-
bildet, z. b. tauge-nichts f. taug-nichts (von dem orga-
nischen taug statt des nhd. taugt) franz. vaut-rien, nnl.
deug-niet. Die faule hausmagd heißt spät-es-tagt; ein
fabelhafter könig wie-du-wilt u. a. m. -- Anmerkungen
1) den eintritt wirklicher composition bezeugt die decli-
nierbarkeit des letzten wortes, z. b. im gen. hüpfaufs,
zeitvertreibs, hebenstreits, springinsfelds, vergißmeinnichts,
nimmer-satts. 2) in den romanischen sprachen gibt es
viele ähnliche zusammensetzungen, vgl. das angeführte
gardi-vias oder das französ. rendez-vous. Im latein des
mittelalters bildete man frühe die tausnamen quod-deus-
vult, deus-dedit (französ. dieu-donne kann auch heißen:
a deo datus) und dergl. 3) in slavischen eigennamen
sind, nach Dobrowsky, die auf -i endigenden ersten
theile der zusammensetzung gleichfalls aus imperativen
deusbar, wie denn auch i kein slav. compositionsvocal ist:
vladi-mir (walte-friede) rasti-slav (wachse-ruhm) borji-slav,
borji-voj, vladj-slav. vrati-slav, primi-slav (habe-ruhm) von
vladiti (walten) rasti (wachsen) vratiti, primiti (nehmen);
bei Vuk findet sich jezdi-mir, kazi-mir von jezditi (rei-
ten) kaziti (verderben) u. a. m. *). Hierdurch könnte man
versucht werden, ein ahd. fridu-walt, wahs-muot für ei-
nerlei und gleichgebildet mit vladi-mir, rasti-slav zu neh-
men, nur daß in fridu-walt der imp. nachgeselzt wäre.
Inzwischen scheint es mir doch richtiger in beiden deut-
schen nom. propr. eigentliche composition zu erkennen
und walt, wahs nicht für imperative, sondern nomina
anzusehen, obgleich waltan sogar buchstäblich das slav.
vladiti ist. Denn -walt wird selbst zu scheinbar ableiten-
dem -alt -olt (regin-walt, reginoaldus) vgl. s. 333. 334.
wahs aber ist wohl das adj. wahs, was (acer), wie das
parallele hart in hart-muot, vgl. s. 667, 8. Jene aus wirk-
lichen imp. entspringenden mannsnamen fallen auch nicht
in die älteste zeit und haben etwas gemeines an sich, da-
her sie bauern, räubern und plumpen riesen beigelegt
werden; die älteren eigentlich componierten namen sind
edleres gepräges, auch bei den Slaven. Und sollte das
in slav. eigennamen oft wiederkehrende -mir nicht etwas
anders als mir (pax) sein, nämlich mit dem goth. -mer,
-mir- (s. 571.) zusammenhängend? in jezdi-mir wäre die
bedeutung friede unschicklich.

*) böhmische und russische beispiele geben Dobr. p. 62. und
Puchmayer p. 98.
P p p 2
III. compoſition ganzer redensarten.

c) auch mit dem praeſ. ind. werden eigennamen ge-
bildet, z. b. tauge-nichts f. taug-nichts (von dem orga-
niſchen taug ſtatt des nhd. taugt) franz. vaut-rien, nnl.
deug-niet. Die faule hausmagd heißt ſpät-es-tagt; ein
fabelhafter könig wie-du-wilt u. a. m. — Anmerkungen
1) den eintritt wirklicher compoſition bezeugt die decli-
nierbarkeit des letzten wortes, z. b. im gen. hüpfaufs,
zeitvertreibs, hebenſtreits, ſpringinsfelds, vergißmeinnichts,
nimmer-ſatts. 2) in den romaniſchen ſprachen gibt es
viele ähnliche zuſammenſetzungen, vgl. das angeführte
gardi-vias oder das franzöſ. rendez-vous. Im latein des
mittelalters bildete man frühe die tauſnamen quod-deus-
vult, deus-dedit (franzöſ. dieu-donné kann auch heißen:
a deo datus) und dergl. 3) in ſlaviſchen eigennamen
ſind, nach Dobrowſky, die auf -i endigenden erſten
theile der zuſammenſetzung gleichfalls aus imperativen
deuſbar, wie denn auch i kein ſlav. compoſitionsvocal iſt:
vladi-mir (walte-friede) raſti-ſlav (wachſe-ruhm) borji-ſlav,
borji-voj, vladj-ſlav. vrati-ſlav, primi-ſlav (habe-ruhm) von
vladiti (walten) raſti (wachſen) vratiti, primiti (nehmen);
bei Vuk findet ſich jezdi-mir, kazi-mir von jezditi (rei-
ten) kaziti (verderben) u. a. m. *). Hierdurch könnte man
verſucht werden, ein ahd. fridu-walt, wahs-muot für ei-
nerlei und gleichgebildet mit vladi-mir, raſti-ſlav zu neh-
men, nur daß in fridu-walt der imp. nachgeſelzt wäre.
Inzwiſchen ſcheint es mir doch richtiger in beiden deut-
ſchen nom. propr. eigentliche compoſition zu erkennen
und walt, wahs nicht für imperative, ſondern nomina
anzuſehen, obgleich waltan ſogar buchſtäblich das ſlav.
vladiti iſt. Denn -walt wird ſelbſt zu ſcheinbar ableiten-
dem -alt -olt (regin-walt, reginoaldus) vgl. ſ. 333. 334.
wahs aber iſt wohl das adj. wahs, was (acer), wie das
parallele hart in hart-muot, vgl. ſ. 667, 8. Jene aus wirk-
lichen imp. entſpringenden mannsnamen fallen auch nicht
in die älteſte zeit und haben etwas gemeines an ſich, da-
her ſie bauern, räubern und plumpen rieſen beigelegt
werden; die älteren eigentlich componierten namen ſind
edleres gepräges, auch bei den Slaven. Und ſollte das
in ſlav. eigennamen oft wiederkehrende -mir nicht etwas
anders als mir (pax) ſein, nämlich mit dem goth. -mêr,
-mir- (ſ. 571.) zuſammenhängend? in jezdi-mir wäre die
bedeutung friede unſchicklich.

*) böhmiſche und ruſſiſche beiſpiele geben Dobr. p. 62. und
Puchmayer p. 98.
P p p 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0981" n="963"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">compo&#x017F;ition ganzer redensarten.</hi></hi> </fw><lb/>
            <p>c) auch mit dem prae&#x017F;. ind. werden eigennamen ge-<lb/>
bildet, z. b. tauge-nichts f. taug-nichts (von dem orga-<lb/>
ni&#x017F;chen taug &#x017F;tatt des nhd. taugt) franz. vaut-rien, nnl.<lb/>
deug-niet. Die faule hausmagd heißt &#x017F;pät-es-tagt; ein<lb/>
fabelhafter könig wie-du-wilt u. a. m. &#x2014; Anmerkungen<lb/>
1) den eintritt wirklicher compo&#x017F;ition bezeugt die decli-<lb/>
nierbarkeit des letzten wortes, z. b. im gen. hüpfaufs,<lb/>
zeitvertreibs, heben&#x017F;treits, &#x017F;pringinsfelds, vergißmeinnichts,<lb/>
nimmer-&#x017F;atts. 2) in den romani&#x017F;chen &#x017F;prachen gibt es<lb/>
viele ähnliche zu&#x017F;ammen&#x017F;etzungen, vgl. das angeführte<lb/>
gardi-vias oder das franzö&#x017F;. rendez-vous. Im latein des<lb/>
mittelalters bildete man frühe die tau&#x017F;namen quod-deus-<lb/>
vult, deus-dedit (franzö&#x017F;. dieu-donné kann auch heißen:<lb/>
a deo datus) und dergl. 3) in &#x017F;lavi&#x017F;chen eigennamen<lb/>
&#x017F;ind, nach Dobrow&#x017F;ky, die auf -i endigenden er&#x017F;ten<lb/>
theile der zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung gleichfalls aus imperativen<lb/>
deu&#x017F;bar, wie denn auch i kein &#x017F;lav. compo&#x017F;itionsvocal i&#x017F;t:<lb/>
vladi-mir (walte-friede) ra&#x017F;ti-&#x017F;lav (wach&#x017F;e-ruhm) borji-&#x017F;lav,<lb/>
borji-voj, vladj-&#x017F;lav. vrati-&#x017F;lav, primi-&#x017F;lav (habe-ruhm) von<lb/>
vladiti (walten) ra&#x017F;ti (wach&#x017F;en) vratiti, primiti (nehmen);<lb/>
bei Vuk findet &#x017F;ich jezdi-mir, kazi-mir von jezditi (rei-<lb/>
ten) kaziti (verderben) u. a. m. <note place="foot" n="*)">böhmi&#x017F;che und ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che bei&#x017F;piele geben Dobr. p. 62. und<lb/>
Puchmayer p. 98.</note>. Hierdurch könnte man<lb/>
ver&#x017F;ucht werden, ein ahd. fridu-walt, wahs-muot für ei-<lb/>
nerlei und gleichgebildet mit vladi-mir, ra&#x017F;ti-&#x017F;lav zu neh-<lb/>
men, nur daß in fridu-walt der imp. nachge&#x017F;elzt wäre.<lb/>
Inzwi&#x017F;chen &#x017F;cheint es mir doch richtiger in beiden deut-<lb/>
&#x017F;chen nom. propr. eigentliche compo&#x017F;ition zu erkennen<lb/>
und walt, wahs nicht für imperative, &#x017F;ondern nomina<lb/>
anzu&#x017F;ehen, obgleich waltan &#x017F;ogar buch&#x017F;täblich das &#x017F;lav.<lb/>
vladiti i&#x017F;t. Denn -walt wird &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;cheinbar ableiten-<lb/>
dem -alt -olt (regin-walt, reginoaldus) vgl. &#x017F;. 333. 334.<lb/>
wahs aber i&#x017F;t wohl das adj. wahs, was (acer), wie das<lb/>
parallele hart in hart-muot, vgl. &#x017F;. 667, 8. Jene aus wirk-<lb/>
lichen imp. ent&#x017F;pringenden mannsnamen fallen auch nicht<lb/>
in die älte&#x017F;te zeit und haben etwas gemeines an &#x017F;ich, da-<lb/>
her &#x017F;ie bauern, räubern und plumpen rie&#x017F;en beigelegt<lb/>
werden; die älteren <hi rendition="#i">eigentlich</hi> componierten namen &#x017F;ind<lb/>
edleres gepräges, auch bei den Slaven. Und &#x017F;ollte das<lb/>
in &#x017F;lav. eigennamen oft wiederkehrende -mir nicht etwas<lb/>
anders als mir (pax) &#x017F;ein, nämlich mit dem goth. -mêr,<lb/>
-mir- (&#x017F;. 571.) zu&#x017F;ammenhängend? in jezdi-mir wäre die<lb/>
bedeutung friede un&#x017F;chicklich.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">P p p 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[963/0981] III. compoſition ganzer redensarten. c) auch mit dem praeſ. ind. werden eigennamen ge- bildet, z. b. tauge-nichts f. taug-nichts (von dem orga- niſchen taug ſtatt des nhd. taugt) franz. vaut-rien, nnl. deug-niet. Die faule hausmagd heißt ſpät-es-tagt; ein fabelhafter könig wie-du-wilt u. a. m. — Anmerkungen 1) den eintritt wirklicher compoſition bezeugt die decli- nierbarkeit des letzten wortes, z. b. im gen. hüpfaufs, zeitvertreibs, hebenſtreits, ſpringinsfelds, vergißmeinnichts, nimmer-ſatts. 2) in den romaniſchen ſprachen gibt es viele ähnliche zuſammenſetzungen, vgl. das angeführte gardi-vias oder das franzöſ. rendez-vous. Im latein des mittelalters bildete man frühe die tauſnamen quod-deus- vult, deus-dedit (franzöſ. dieu-donné kann auch heißen: a deo datus) und dergl. 3) in ſlaviſchen eigennamen ſind, nach Dobrowſky, die auf -i endigenden erſten theile der zuſammenſetzung gleichfalls aus imperativen deuſbar, wie denn auch i kein ſlav. compoſitionsvocal iſt: vladi-mir (walte-friede) raſti-ſlav (wachſe-ruhm) borji-ſlav, borji-voj, vladj-ſlav. vrati-ſlav, primi-ſlav (habe-ruhm) von vladiti (walten) raſti (wachſen) vratiti, primiti (nehmen); bei Vuk findet ſich jezdi-mir, kazi-mir von jezditi (rei- ten) kaziti (verderben) u. a. m. *). Hierdurch könnte man verſucht werden, ein ahd. fridu-walt, wahs-muot für ei- nerlei und gleichgebildet mit vladi-mir, raſti-ſlav zu neh- men, nur daß in fridu-walt der imp. nachgeſelzt wäre. Inzwiſchen ſcheint es mir doch richtiger in beiden deut- ſchen nom. propr. eigentliche compoſition zu erkennen und walt, wahs nicht für imperative, ſondern nomina anzuſehen, obgleich waltan ſogar buchſtäblich das ſlav. vladiti iſt. Denn -walt wird ſelbſt zu ſcheinbar ableiten- dem -alt -olt (regin-walt, reginoaldus) vgl. ſ. 333. 334. wahs aber iſt wohl das adj. wahs, was (acer), wie das parallele hart in hart-muot, vgl. ſ. 667, 8. Jene aus wirk- lichen imp. entſpringenden mannsnamen fallen auch nicht in die älteſte zeit und haben etwas gemeines an ſich, da- her ſie bauern, räubern und plumpen rieſen beigelegt werden; die älteren eigentlich componierten namen ſind edleres gepräges, auch bei den Slaven. Und ſollte das in ſlav. eigennamen oft wiederkehrende -mir nicht etwas anders als mir (pax) ſein, nämlich mit dem goth. -mêr, -mir- (ſ. 571.) zuſammenhängend? in jezdi-mir wäre die bedeutung friede unſchicklich. *) böhmiſche und ruſſiſche beiſpiele geben Dobr. p. 62. und Puchmayer p. 98. P p p 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/981
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 963. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/981>, abgerufen am 22.11.2024.