1) zusammensetzung und ableitung unterscheiden sich in mittel und zweck wesentlich voneinander. Jene ver- einigt zwei ursprünglich selbständige wörter entweder durch den bloß dazu ausersehnen, bald aber unsichtbar gewordnen vocal oder durch sestes zusammenrücken bei- der, so daß die flexion des ersten wortes mit aufgenom- men werden kann. Bei der ableitung ist hingegen nur von einem worte die rede, das durch die anfügung an sich dunkler vocale und consonanten neue bestimmung empfängt. Das ableitende princip ist ein suffix, das zu- sammensetzende eher ein praefix zu nennen, wie sich besonders an der partikelcomposition zeigt (vgl. loup-ac mit ca-loup s. 752.). Die bestimmung erfolgt bei der de- rivation hinten, bei der composition durch das vordere wort, während sie hei der bildung durch laut und ablaut in dem worte selbst geschieht. Daß auch an eigentleich componierten wörtern das erste die bestimmung gebe, das zweite die hauptsache enthalte, lehren adjectiva wie na- gel-neu, herz-lieb, gold-gelb, hell-blau, schwarz-braun, (welches schwärzliches braun ausdrückt, braun-schwarz wäre ein durch braun modificiertes schwarz) oder sub- stantiva wie groß-vater, berg-luft, salz-waßer, laub-frosch und eine menge dergleichen augenscheinlich. Die ablei- tung fügt dem wort abstracte, allgemeine begriffe (s. 397. 398.) hinzu, die composition verknüpft zwei specielle, die eigentliche meist auch lebendige begriffe, welche sich oft durch keine derivation ersetzen laßen. Beide wörter halten sich dann gleichgewicht und äußern gegensei- tigen einfluß auf einander, z. b. in apfel-kern, gast-freund, bein-bruch kann man nicht sagen weder daß bein, noch daß bruch etc. hauptbegriff sei. Ja, zuweilen können beide wörter ihre stellen wechseln (s. 547.). Wie sich composita für leibliche vorzüge und gebrechen umsetzen ist s. 649. angegeben worden. So gut huf-halz, hüst-lahm gesagt wird, könnte auch halz-huf, halz-hufi, lahm-hüstig stehn und schön-haar (kalothrix) = schön-haarig (pulchri- comus) breit-fuß (platu-pous, latipes) heißen auf altn. har-fagr (pulcher coma) sot-breidr. Practisch sagen beide wortbildungen das nämliche aus, genau betrachtet gilt aber die verschiedenheit, daß in dem einen der be- griff fuß durch breit, im andern der begriff breit durch fuß näher bestimmt wird, dort also auf fuß, hier auf breit mehr nachdruck liegt.
III. compoſition. ſchlußbemerkungen.
Schlußbemerkungen zum dritten capitel.
1) zuſammenſetzung und ableitung unterſcheiden ſich in mittel und zweck weſentlich voneinander. Jene ver- einigt zwei urſprünglich ſelbſtändige wörter entweder durch den bloß dazu auserſehnen, bald aber unſichtbar gewordnen vocal oder durch ſeſtes zuſammenrücken bei- der, ſo daß die flexion des erſten wortes mit aufgenom- men werden kann. Bei der ableitung iſt hingegen nur von einem worte die rede, das durch die anfügung an ſich dunkler vocale und conſonanten neue beſtimmung empfängt. Das ableitende princip iſt ein ſuffix, das zu- ſammenſetzende eher ein praefix zu nennen, wie ſich beſonders an der partikelcompoſition zeigt (vgl. loup-ac mit ca-loup ſ. 752.). Die beſtimmung erfolgt bei der de- rivation hinten, bei der compoſition durch das vordere wort, während ſie hei der bildung durch laut und ablaut in dem worte ſelbſt geſchieht. Daß auch an eigentlîch componierten wörtern das erſte die beſtimmung gebe, das zweite die hauptſache enthalte, lehren adjectiva wie na- gel-neu, herz-lieb, gold-gelb, hell-blau, ſchwarz-braun, (welches ſchwärzliches braun ausdrückt, braun-ſchwarz wäre ein durch braun modificiertes ſchwarz) oder ſub- ſtantiva wie groß-vater, berg-luft, ſalz-waßer, laub-froſch und eine menge dergleichen augenſcheinlich. Die ablei- tung fügt dem wort abſtracte, allgemeine begriffe (ſ. 397. 398.) hinzu, die compoſition verknüpft zwei ſpecielle, die eigentliche meiſt auch lebendige begriffe, welche ſich oft durch keine derivation erſetzen laßen. Beide wörter halten ſich dann gleichgewicht und äußern gegenſei- tigen einfluß auf einander, z. b. in apfel-kern, gaſt-freund, bein-bruch kann man nicht ſagen weder daß bein, noch daß bruch etc. hauptbegriff ſei. Ja, zuweilen können beide wörter ihre ſtellen wechſeln (ſ. 547.). Wie ſich compoſita für leibliche vorzüge und gebrechen umſetzen iſt ſ. 649. angegeben worden. So gut huf-halz, hüſt-lahm geſagt wird, könnte auch halz-huf, halz-hufi, lahm-hüſtig ſtehn und ſchön-haar (καλόθριξ) = ſchön-haarig (pulchri- comus) breit-fuß (πλατύ-πους, latipes) heißen auf altn. hâr-fagr (pulcher comâ) ſôt-breidr. Practiſch ſagen beide wortbildungen das nämliche aus, genau betrachtet gilt aber die verſchiedenheit, daß in dem einen der be- griff fuß durch breit, im andern der begriff breit durch fuß näher beſtimmt wird, dort alſo auf fuß, hier auf breit mehr nachdruck liegt.
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III. compoſition. ſchlußbemerkungen.
Schlußbemerkungen zum dritten capitel.
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in mittel und zweck weſentlich voneinander. Jene ver-
einigt zwei urſprünglich ſelbſtändige wörter entweder
durch den bloß dazu auserſehnen, bald aber unſichtbar
gewordnen vocal oder durch ſeſtes zuſammenrücken bei-
der, ſo daß die flexion des erſten wortes mit aufgenom-
men werden kann. Bei der ableitung iſt hingegen nur
von einem worte die rede, das durch die anfügung an
ſich dunkler vocale und conſonanten neue beſtimmung
empfängt. Das ableitende princip iſt ein ſuffix, das zu-
ſammenſetzende eher ein praefix zu nennen, wie ſich
beſonders an der partikelcompoſition zeigt (vgl. loup-ac
mit ca-loup ſ. 752.). Die beſtimmung erfolgt bei der de-
rivation hinten, bei der compoſition durch das vordere
wort, während ſie hei der bildung durch laut und ablaut
in dem worte ſelbſt geſchieht. Daß auch an eigentlîch
componierten wörtern das erſte die beſtimmung gebe, das
zweite die hauptſache enthalte, lehren adjectiva wie na-
gel-neu, herz-lieb, gold-gelb, hell-blau, ſchwarz-braun,
(welches ſchwärzliches braun ausdrückt, braun-ſchwarz
wäre ein durch braun modificiertes ſchwarz) oder ſub-
ſtantiva wie groß-vater, berg-luft, ſalz-waßer, laub-froſch
und eine menge dergleichen augenſcheinlich. Die ablei-
tung fügt dem wort abſtracte, allgemeine begriffe (ſ. 397.
398.) hinzu, die compoſition verknüpft zwei ſpecielle, die
eigentliche meiſt auch lebendige begriffe, welche ſich oft
durch keine derivation erſetzen laßen. Beide wörter
halten ſich dann gleichgewicht und äußern gegenſei-
tigen einfluß auf einander, z. b. in apfel-kern, gaſt-freund,
bein-bruch kann man nicht ſagen weder daß bein, noch
daß bruch etc. hauptbegriff ſei. Ja, zuweilen können
beide wörter ihre ſtellen wechſeln (ſ. 547.). Wie ſich
compoſita für leibliche vorzüge und gebrechen umſetzen
iſt ſ. 649. angegeben worden. So gut huf-halz, hüſt-lahm
geſagt wird, könnte auch halz-huf, halz-hufi, lahm-hüſtig
ſtehn und ſchön-haar (καλόθριξ) = ſchön-haarig (pulchri-
comus) breit-fuß (πλατύ-πους, latipes) heißen auf altn.
hâr-fagr (pulcher comâ) ſôt-breidr. Practiſch ſagen
beide wortbildungen das nämliche aus, genau betrachtet
gilt aber die verſchiedenheit, daß in dem einen der be-
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fuß näher beſtimmt wird, dort alſo auf fuß, hier auf
breit mehr nachdruck liegt.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 964. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/982>, abgerufen am 22.11.2024.
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