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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
den erfolgten und bleibenden eintritt des unveränderten
wurzelbegriffs an; so ist par (nr. 325.) das sichtbar ge-
wordene, heiß (nr. 499.) das warm gewordene; stuopo
(nr. 76.) das eingetretene; namo (nr. 318.) das angenom-
mene; ginuht, ginuoc, ginada (489.) die eingetroffene
befriedigung und ruhe; herizoho (nr. 269.) der ausge-
rückte anführer; suein (nr. 115.) der hirte, welcher aus-
getrieben hat; sunno (nr. 378.) die gereisete; tropho
(nr. 205.) der gefallene; reißa (nr. 144.) das gerißene;
preit (nr. 162.) was gebreitet wurde, das weite; groba
(nr. 77.) die gegrabene; chlopo (nr. 208.) der gespaltene;
laus (nr. 247.) das frei gewordene; wabe (nr. 274.) das
gewebte etc. in zahllosen beispielen. Es kann demnach
in fällen, wo es nicht daran lag, das geschehende von
dem geschehenen merklich zu unterscheiden, dieselbe sache
gleichgültig mit dem laut oder ablaut bezeichnet werden,
vgl. nr. 188. steic, staiga, stec; nr. 220. gieße, goß; 227.
vließe, vloß; 247. verlies, verlust etc. die verschieden-
heit bezieht sich oft nur auf mundarten und perioden,
vgl. nr. 86. goth. rodjan, alth. redon; nr. 397. das goth.
dragk mit dem ags. drinc; das nhd. sänger mit dem
mhd. singer, wiewohl letzteres angemeßener scheint.
Denn überall wo es eine stete, nicht auf einmahl vorge-
fallener handlung gegründete eigenschaft, das geschehende
und lebendige gilt, drückt sie der vocal des praesens
beßer aus, vgl. trinho (potator) scero (talpa) hana (gal-
lus); umgedreht hat arbinumja (kleronomos) den vorzug
vor dem nhd. erbnehmer (? mhd. erbenaeme); ja wörter
wie streit (nr. 156.) fleiß (143.) werden in allen mundarten
durchaus mit dem laut, nie mit dem ablaut gebildet, denn
sie geben einen anhaltenden, dauernden zustand zu er-
kennen. Daher auch die merkwürdigen verba zweiter
anomalie die geschwächte, abstract gewordene praesens-
bedeutung gänzlich durch die ablautende form der praet.
ausdrücken. Sind laut und ablaut beide nebeneinander
zu einer wortart gebraucht, so beruhen darauf meistens
feine unterscheidungen, vgl. nr. 242. das ags. altn. reod,
riodr mit read, raudr, dieses stehende, rothe farbe, jenes
aufsteigende, blühende röthe; reod: rubescens, rubicun-
dus, aber read: ruber.

d) dunkeler und schwieriger scheint die frage nach
einem unterschiede der bedeutung zwischen dem ablaut
des sg. und pl.
, dessen nicht einmahl alle conjugationen
formell fähig sind? So viel ist wohl klar, daß hier nicht
der begriff der einheit und vielheit selbst in betracht

F

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
den erfolgten und bleibenden eintritt des unveränderten
wurzelbegriffs an; ſo iſt par (nr. 325.) das ſichtbar ge-
wordene, heiƷ (nr. 499.) das warm gewordene; ſtuopo
(nr. 76.) das eingetretene; namo (nr. 318.) das angenom-
mene; ginuht, ginuoc, ginâda (489.) die eingetroffene
befriedigung und ruhe; herizoho (nr. 269.) der ausge-
rückte anführer; ſuein (nr. 115.) der hirte, welcher aus-
getrieben hat; ſunnô (nr. 378.) die gereiſete; tropho
(nr. 205.) der gefallene; reiƷa (nr. 144.) das gerißene;
preit (nr. 162.) was gebreitet wurde, das weite; grôba
(nr. 77.) die gegrabene; chlopo (nr. 208.) der geſpaltene;
láus (nr. 247.) das frei gewordene; wabe (nr. 274.) das
gewebte etc. in zahlloſen beiſpielen. Es kann demnach
in fällen, wo es nicht daran lag, das geſchehende von
dem geſchehenen merklich zu unterſcheiden, dieſelbe ſache
gleichgültig mit dem laut oder ablaut bezeichnet werden,
vgl. nr. 188. ſtîc, ſtáiga, ſtëc; nr. 220. gieƷe, gôƷ; 227.
vlieƷe, vlôƷ; 247. verlies, verluſt etc. die verſchieden-
heit bezieht ſich oft nur auf mundarten und perioden,
vgl. nr. 86. goth. rôdjan, alth. redôn; nr. 397. das goth.
dragk mit dem agſ. drinc; das nhd. ſänger mit dem
mhd. ſinger, wiewohl letzteres angemeßener ſcheint.
Denn überall wo es eine ſtete, nicht auf einmahl vorge-
fallener handlung gegründete eigenſchaft, das geſchehende
und lebendige gilt, drückt ſie der vocal des praeſens
beßer aus, vgl. trinho (potator) ſcëro (talpa) hana (gal-
lus); umgedreht hat arbinumja (κληρονόμος) den vorzug
vor dem nhd. erbnehmer (? mhd. erbenæme); ja wörter
wie ſtrît (nr. 156.) flîƷ (143.) werden in allen mundarten
durchaus mit dem laut, nie mit dem ablaut gebildet, denn
ſie geben einen anhaltenden, dauernden zuſtand zu er-
kennen. Daher auch die merkwürdigen verba zweiter
anomalie die geſchwächte, abſtract gewordene praeſens-
bedeutung gänzlich durch die ablautende form der praet.
ausdrücken. Sind laut und ablaut beide nebeneinander
zu einer wortart gebraucht, ſo beruhen darauf meiſtens
feine unterſcheidungen, vgl. nr. 242. das agſ. altn. rëód,
riódr mit reád, raudr, dieſes ſtehende, rothe farbe, jenes
aufſteigende, blühende röthe; rëód: rubeſcens, rubicun-
dus, aber reád: ruber.

δ) dunkeler und ſchwieriger ſcheint die frage nach
einem unterſchiede der bedeutung zwiſchen dem ablaut
des ſg. und pl.
, deſſen nicht einmahl alle conjugatiónen
formell fähig ſind? So viel iſt wohl klar, daß hier nicht
der begriff der einheit und vielheit ſelbſt in betracht

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[81/0099] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. den erfolgten und bleibenden eintritt des unveränderten wurzelbegriffs an; ſo iſt par (nr. 325.) das ſichtbar ge- wordene, heiƷ (nr. 499.) das warm gewordene; ſtuopo (nr. 76.) das eingetretene; namo (nr. 318.) das angenom- mene; ginuht, ginuoc, ginâda (489.) die eingetroffene befriedigung und ruhe; herizoho (nr. 269.) der ausge- rückte anführer; ſuein (nr. 115.) der hirte, welcher aus- getrieben hat; ſunnô (nr. 378.) die gereiſete; tropho (nr. 205.) der gefallene; reiƷa (nr. 144.) das gerißene; preit (nr. 162.) was gebreitet wurde, das weite; grôba (nr. 77.) die gegrabene; chlopo (nr. 208.) der geſpaltene; láus (nr. 247.) das frei gewordene; wabe (nr. 274.) das gewebte etc. in zahlloſen beiſpielen. Es kann demnach in fällen, wo es nicht daran lag, das geſchehende von dem geſchehenen merklich zu unterſcheiden, dieſelbe ſache gleichgültig mit dem laut oder ablaut bezeichnet werden, vgl. nr. 188. ſtîc, ſtáiga, ſtëc; nr. 220. gieƷe, gôƷ; 227. vlieƷe, vlôƷ; 247. verlies, verluſt etc. die verſchieden- heit bezieht ſich oft nur auf mundarten und perioden, vgl. nr. 86. goth. rôdjan, alth. redôn; nr. 397. das goth. dragk mit dem agſ. drinc; das nhd. ſänger mit dem mhd. ſinger, wiewohl letzteres angemeßener ſcheint. Denn überall wo es eine ſtete, nicht auf einmahl vorge- fallener handlung gegründete eigenſchaft, das geſchehende und lebendige gilt, drückt ſie der vocal des praeſens beßer aus, vgl. trinho (potator) ſcëro (talpa) hana (gal- lus); umgedreht hat arbinumja (κληρονόμος) den vorzug vor dem nhd. erbnehmer (? mhd. erbenæme); ja wörter wie ſtrît (nr. 156.) flîƷ (143.) werden in allen mundarten durchaus mit dem laut, nie mit dem ablaut gebildet, denn ſie geben einen anhaltenden, dauernden zuſtand zu er- kennen. Daher auch die merkwürdigen verba zweiter anomalie die geſchwächte, abſtract gewordene praeſens- bedeutung gänzlich durch die ablautende form der praet. ausdrücken. Sind laut und ablaut beide nebeneinander zu einer wortart gebraucht, ſo beruhen darauf meiſtens feine unterſcheidungen, vgl. nr. 242. das agſ. altn. rëód, riódr mit reád, raudr, dieſes ſtehende, rothe farbe, jenes aufſteigende, blühende röthe; rëód: rubeſcens, rubicun- dus, aber reád: ruber. δ) dunkeler und ſchwieriger ſcheint die frage nach einem unterſchiede der bedeutung zwiſchen dem ablaut des ſg. und pl., deſſen nicht einmahl alle conjugatiónen formell fähig ſind? So viel iſt wohl klar, daß hier nicht der begriff der einheit und vielheit ſelbſt in betracht F

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/99>, abgerufen am 24.11.2024.