Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bewegung. Albert hielt sich etwas hinter dem Vater, weil von der Verlobung noch nichts declarirt war; eine ungemeine Zufriedenheit überkam ihn bei Emma's Anblick; es war kein Zweifel, so wie sie da kam, konnte sie in jedem Salon, an jedem Hofe auftreten, und dennoch war kein Titelchen Falsch an ihr. Es dauerte nicht lange, so hatten sie alle Tänze vergeben. Albert beanspruchte bescheidentlich nur einen Contretanz und hielt sich überhaupt mehr unter den Zuschauern. Auch war der Anblick kein übler, denn die Mehrzahl der jungen Damen, welche hier tanzten, hatten bereits ihre Schule in der Stadt durch gemacht und verstanden aufzutreten. So ging es überall nach Wunsch; die Wangen wurden immer blühender, die Lust immer größer, die beiden Schwestern waren mit Herz und Seele dabei, und jeder andere Gedanke ward unbarmherzig bei Seite geworfen. Therese, wenn sie umherschwebte durch das Geräusch, wußte weder, daß ihre Schwester verlobt sei, noch daß sie nach Italien reisen wollten, auch nicht, daß der Ball jemals ein Ende nehmen würde; das Kind aber war völlig im Taumel. All die ernsten Momente, die es erlebt hatte, flogen wie Spreu von seinem Herz ab, und in einer Art Wonne, sich frei zu fühlen, ging es dahin wie ein Schwimmer, der zum erstenmal ins Meer kommt, wo die Wellen mächtiger sind, wo sie aber auch leichter tragen. Ihr Bräutigam galt ihr, als die Reihe an ihn kam, nicht mehr als jeder Andere; Bewegung. Albert hielt sich etwas hinter dem Vater, weil von der Verlobung noch nichts declarirt war; eine ungemeine Zufriedenheit überkam ihn bei Emma's Anblick; es war kein Zweifel, so wie sie da kam, konnte sie in jedem Salon, an jedem Hofe auftreten, und dennoch war kein Titelchen Falsch an ihr. Es dauerte nicht lange, so hatten sie alle Tänze vergeben. Albert beanspruchte bescheidentlich nur einen Contretanz und hielt sich überhaupt mehr unter den Zuschauern. Auch war der Anblick kein übler, denn die Mehrzahl der jungen Damen, welche hier tanzten, hatten bereits ihre Schule in der Stadt durch gemacht und verstanden aufzutreten. So ging es überall nach Wunsch; die Wangen wurden immer blühender, die Lust immer größer, die beiden Schwestern waren mit Herz und Seele dabei, und jeder andere Gedanke ward unbarmherzig bei Seite geworfen. Therese, wenn sie umherschwebte durch das Geräusch, wußte weder, daß ihre Schwester verlobt sei, noch daß sie nach Italien reisen wollten, auch nicht, daß der Ball jemals ein Ende nehmen würde; das Kind aber war völlig im Taumel. All die ernsten Momente, die es erlebt hatte, flogen wie Spreu von seinem Herz ab, und in einer Art Wonne, sich frei zu fühlen, ging es dahin wie ein Schwimmer, der zum erstenmal ins Meer kommt, wo die Wellen mächtiger sind, wo sie aber auch leichter tragen. Ihr Bräutigam galt ihr, als die Reihe an ihn kam, nicht mehr als jeder Andere; <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0021"/> Bewegung. Albert hielt sich etwas hinter dem Vater, weil von der Verlobung noch nichts declarirt war; eine ungemeine Zufriedenheit überkam ihn bei Emma's Anblick; es war kein Zweifel, so wie sie da kam, konnte sie in jedem Salon, an jedem Hofe auftreten, und dennoch war kein Titelchen Falsch an ihr.</p><lb/> <p>Es dauerte nicht lange, so hatten sie alle Tänze vergeben. Albert beanspruchte bescheidentlich nur einen Contretanz und hielt sich überhaupt mehr unter den Zuschauern. Auch war der Anblick kein übler, denn die Mehrzahl der jungen Damen, welche hier tanzten, hatten bereits ihre Schule in der Stadt durch gemacht und verstanden aufzutreten. So ging es überall nach Wunsch; die Wangen wurden immer blühender, die Lust immer größer, die beiden Schwestern waren mit Herz und Seele dabei, und jeder andere Gedanke ward unbarmherzig bei Seite geworfen. Therese, wenn sie umherschwebte durch das Geräusch, wußte weder, daß ihre Schwester verlobt sei, noch daß sie nach Italien reisen wollten, auch nicht, daß der Ball jemals ein Ende nehmen würde; das Kind aber war völlig im Taumel. All die ernsten Momente, die es erlebt hatte, flogen wie Spreu von seinem Herz ab, und in einer Art Wonne, sich frei zu fühlen, ging es dahin wie ein Schwimmer, der zum erstenmal ins Meer kommt, wo die Wellen mächtiger sind, wo sie aber auch leichter tragen. Ihr Bräutigam galt ihr, als die Reihe an ihn kam, nicht mehr als jeder Andere;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
Bewegung. Albert hielt sich etwas hinter dem Vater, weil von der Verlobung noch nichts declarirt war; eine ungemeine Zufriedenheit überkam ihn bei Emma's Anblick; es war kein Zweifel, so wie sie da kam, konnte sie in jedem Salon, an jedem Hofe auftreten, und dennoch war kein Titelchen Falsch an ihr.
Es dauerte nicht lange, so hatten sie alle Tänze vergeben. Albert beanspruchte bescheidentlich nur einen Contretanz und hielt sich überhaupt mehr unter den Zuschauern. Auch war der Anblick kein übler, denn die Mehrzahl der jungen Damen, welche hier tanzten, hatten bereits ihre Schule in der Stadt durch gemacht und verstanden aufzutreten. So ging es überall nach Wunsch; die Wangen wurden immer blühender, die Lust immer größer, die beiden Schwestern waren mit Herz und Seele dabei, und jeder andere Gedanke ward unbarmherzig bei Seite geworfen. Therese, wenn sie umherschwebte durch das Geräusch, wußte weder, daß ihre Schwester verlobt sei, noch daß sie nach Italien reisen wollten, auch nicht, daß der Ball jemals ein Ende nehmen würde; das Kind aber war völlig im Taumel. All die ernsten Momente, die es erlebt hatte, flogen wie Spreu von seinem Herz ab, und in einer Art Wonne, sich frei zu fühlen, ging es dahin wie ein Schwimmer, der zum erstenmal ins Meer kommt, wo die Wellen mächtiger sind, wo sie aber auch leichter tragen. Ihr Bräutigam galt ihr, als die Reihe an ihn kam, nicht mehr als jeder Andere;
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/21 |
Zitationshilfe: | Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/21>, abgerufen am 16.07.2024. |