Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ein wenig rascher voran, um allein zu sein, und Therese folgte mit Emil langsamer nach. Ist der Herr ein Onkel von Ihnen, gnädigstes Fräulein? -- Nein, ein Freund von Papa. -- So? und von Ihnen beiden ebenfalls? -- Natürlich. -- Und von Ihrer Fräulein Schwester noch etwas mehr als von Ihnen? -- Therese pflückte eine kleine Blume am Wege ab und gab keine Antwort. -- Es war wohl indiscret, so zu fragen, gnädigstes Fräulein? -- O nein. -- Therese blieb stehen, sah ihn an und sagte: Ich will Ihnen etwas im Vertrauen mittheilen, eigentlich dürfte ich es nicht, aber Sie verschweigen es auf Ihr Ehrenwort? Sagen Sie es nicht! rief er aus und ergriff plötzlich die Hand des Mädchens. Nein, sagen Sie es dennoch. Nicht wahr, sie ist mit ihm verlobt? fragte er mit leiser Stimme. -- Ja, das ist sie, antwortete Therese. -- O, rief er leidenschaftlich, ich hatte es geahnt! Aber da Sie mir so viel Vertrauen zeigen, will auch ich Ihnen etwas sagen: ich verehre Ihre Schwester so sehr, wie ich nie in meinem Leben Jemand geliebt habe, nie Jemand lieben werde. Er sprach es rasch und hastig aus, und nachdem er es gesagt und Therese es schweigend aufgenommen, gingen sie, ohne ein Wort weiter zu wechseln, den Weg fort, bis sie die Gesellschaft erreichten. Der Kauf war so gut als abgeschlossen. Nach dem Diner fingen die Equipagen an zu rollen, und ein wenig rascher voran, um allein zu sein, und Therese folgte mit Emil langsamer nach. Ist der Herr ein Onkel von Ihnen, gnädigstes Fräulein? — Nein, ein Freund von Papa. — So? und von Ihnen beiden ebenfalls? — Natürlich. — Und von Ihrer Fräulein Schwester noch etwas mehr als von Ihnen? — Therese pflückte eine kleine Blume am Wege ab und gab keine Antwort. — Es war wohl indiscret, so zu fragen, gnädigstes Fräulein? — O nein. — Therese blieb stehen, sah ihn an und sagte: Ich will Ihnen etwas im Vertrauen mittheilen, eigentlich dürfte ich es nicht, aber Sie verschweigen es auf Ihr Ehrenwort? Sagen Sie es nicht! rief er aus und ergriff plötzlich die Hand des Mädchens. Nein, sagen Sie es dennoch. Nicht wahr, sie ist mit ihm verlobt? fragte er mit leiser Stimme. — Ja, das ist sie, antwortete Therese. — O, rief er leidenschaftlich, ich hatte es geahnt! Aber da Sie mir so viel Vertrauen zeigen, will auch ich Ihnen etwas sagen: ich verehre Ihre Schwester so sehr, wie ich nie in meinem Leben Jemand geliebt habe, nie Jemand lieben werde. Er sprach es rasch und hastig aus, und nachdem er es gesagt und Therese es schweigend aufgenommen, gingen sie, ohne ein Wort weiter zu wechseln, den Weg fort, bis sie die Gesellschaft erreichten. Der Kauf war so gut als abgeschlossen. Nach dem Diner fingen die Equipagen an zu rollen, und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0028"/> ein wenig rascher voran, um allein zu sein, und Therese folgte mit Emil langsamer nach.</p><lb/> <p>Ist der Herr ein Onkel von Ihnen, gnädigstes Fräulein? — Nein, ein Freund von Papa. — So? und von Ihnen beiden ebenfalls? — Natürlich. — Und von Ihrer Fräulein Schwester noch etwas mehr als von Ihnen? — Therese pflückte eine kleine Blume am Wege ab und gab keine Antwort. — Es war wohl indiscret, so zu fragen, gnädigstes Fräulein? — O nein. — Therese blieb stehen, sah ihn an und sagte: Ich will Ihnen etwas im Vertrauen mittheilen, eigentlich dürfte ich es nicht, aber Sie verschweigen es auf Ihr Ehrenwort?</p><lb/> <p>Sagen Sie es nicht! rief er aus und ergriff plötzlich die Hand des Mädchens. Nein, sagen Sie es dennoch. Nicht wahr, sie ist mit ihm verlobt? fragte er mit leiser Stimme. — Ja, das ist sie, antwortete Therese. — O, rief er leidenschaftlich, ich hatte es geahnt! Aber da Sie mir so viel Vertrauen zeigen, will auch ich Ihnen etwas sagen: ich verehre Ihre Schwester so sehr, wie ich nie in meinem Leben Jemand geliebt habe, nie Jemand lieben werde. Er sprach es rasch und hastig aus, und nachdem er es gesagt und Therese es schweigend aufgenommen, gingen sie, ohne ein Wort weiter zu wechseln, den Weg fort, bis sie die Gesellschaft erreichten.</p><lb/> <p>Der Kauf war so gut als abgeschlossen. Nach dem Diner fingen die Equipagen an zu rollen, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
ein wenig rascher voran, um allein zu sein, und Therese folgte mit Emil langsamer nach.
Ist der Herr ein Onkel von Ihnen, gnädigstes Fräulein? — Nein, ein Freund von Papa. — So? und von Ihnen beiden ebenfalls? — Natürlich. — Und von Ihrer Fräulein Schwester noch etwas mehr als von Ihnen? — Therese pflückte eine kleine Blume am Wege ab und gab keine Antwort. — Es war wohl indiscret, so zu fragen, gnädigstes Fräulein? — O nein. — Therese blieb stehen, sah ihn an und sagte: Ich will Ihnen etwas im Vertrauen mittheilen, eigentlich dürfte ich es nicht, aber Sie verschweigen es auf Ihr Ehrenwort?
Sagen Sie es nicht! rief er aus und ergriff plötzlich die Hand des Mädchens. Nein, sagen Sie es dennoch. Nicht wahr, sie ist mit ihm verlobt? fragte er mit leiser Stimme. — Ja, das ist sie, antwortete Therese. — O, rief er leidenschaftlich, ich hatte es geahnt! Aber da Sie mir so viel Vertrauen zeigen, will auch ich Ihnen etwas sagen: ich verehre Ihre Schwester so sehr, wie ich nie in meinem Leben Jemand geliebt habe, nie Jemand lieben werde. Er sprach es rasch und hastig aus, und nachdem er es gesagt und Therese es schweigend aufgenommen, gingen sie, ohne ein Wort weiter zu wechseln, den Weg fort, bis sie die Gesellschaft erreichten.
Der Kauf war so gut als abgeschlossen. Nach dem Diner fingen die Equipagen an zu rollen, und
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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T10:24:04Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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