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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Lieber Freund, sagte Therese und behielt seine Hand, die er ihr reichte, als wolle er Abschied nehmen, um auf der Stelle abzureisen, -- und wenn das Kind Albert nicht liebte, wäre es nicht vielleicht doch besser so, wie es ist? Bedenken Sie das. Ich habe es auch bedacht.

O, ich weiß, daß das nicht Ihr tiefstes Gefühl ist, das Sie so sprechen lehrt, rief der junge Mensch. Es ist etwas Künstliches in Ihnen, das so redet. Nicht wahr? Sie möchten, daß kein Unheil entstände? Es soll keins geschehen! Sie möchten, daß Ihre Schwester glücklich wird; sie soll es werden! Sie meinen, Emma wäre so jung, so biegsam, ein Mann wie ihr Verlobter würde sie am sichersten durch das Leben führen. O, ich bitte Sie, wenn Sie jemals geliebt haben, giebt es eine Sicherheit, die größer wäre, als das Glück derer, die sich lieben und sich gefunden haben? Ist nicht alles andere leere Berechnung, Schein, Jammer, zerbrechend, wenn das Schicksal wirklich kommt, statt nur spielend heranzutreten? Sehen Sie mich an, es ist keine Lüge; Sie glauben es, wie ich es glaube!

Das Feuer war ihm in die Wangen gestiegen und glühte in seinen Worten. Therese wußte nur zu gut, was er meinte; sie schwieg und er gefiel ihr unaussprechlich, er war ihr wie ein Bruder, und indem sie seine Hand hielt, schien durch seine Fingerspitzen ein Gefühl der Verwandtschaft in sie einzuströmen. Er ließ sie nun los, schritt den Saal hinunter und kam

Lieber Freund, sagte Therese und behielt seine Hand, die er ihr reichte, als wolle er Abschied nehmen, um auf der Stelle abzureisen, — und wenn das Kind Albert nicht liebte, wäre es nicht vielleicht doch besser so, wie es ist? Bedenken Sie das. Ich habe es auch bedacht.

O, ich weiß, daß das nicht Ihr tiefstes Gefühl ist, das Sie so sprechen lehrt, rief der junge Mensch. Es ist etwas Künstliches in Ihnen, das so redet. Nicht wahr? Sie möchten, daß kein Unheil entstände? Es soll keins geschehen! Sie möchten, daß Ihre Schwester glücklich wird; sie soll es werden! Sie meinen, Emma wäre so jung, so biegsam, ein Mann wie ihr Verlobter würde sie am sichersten durch das Leben führen. O, ich bitte Sie, wenn Sie jemals geliebt haben, giebt es eine Sicherheit, die größer wäre, als das Glück derer, die sich lieben und sich gefunden haben? Ist nicht alles andere leere Berechnung, Schein, Jammer, zerbrechend, wenn das Schicksal wirklich kommt, statt nur spielend heranzutreten? Sehen Sie mich an, es ist keine Lüge; Sie glauben es, wie ich es glaube!

Das Feuer war ihm in die Wangen gestiegen und glühte in seinen Worten. Therese wußte nur zu gut, was er meinte; sie schwieg und er gefiel ihr unaussprechlich, er war ihr wie ein Bruder, und indem sie seine Hand hielt, schien durch seine Fingerspitzen ein Gefühl der Verwandtschaft in sie einzuströmen. Er ließ sie nun los, schritt den Saal hinunter und kam

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[0047] Lieber Freund, sagte Therese und behielt seine Hand, die er ihr reichte, als wolle er Abschied nehmen, um auf der Stelle abzureisen, — und wenn das Kind Albert nicht liebte, wäre es nicht vielleicht doch besser so, wie es ist? Bedenken Sie das. Ich habe es auch bedacht. O, ich weiß, daß das nicht Ihr tiefstes Gefühl ist, das Sie so sprechen lehrt, rief der junge Mensch. Es ist etwas Künstliches in Ihnen, das so redet. Nicht wahr? Sie möchten, daß kein Unheil entstände? Es soll keins geschehen! Sie möchten, daß Ihre Schwester glücklich wird; sie soll es werden! Sie meinen, Emma wäre so jung, so biegsam, ein Mann wie ihr Verlobter würde sie am sichersten durch das Leben führen. O, ich bitte Sie, wenn Sie jemals geliebt haben, giebt es eine Sicherheit, die größer wäre, als das Glück derer, die sich lieben und sich gefunden haben? Ist nicht alles andere leere Berechnung, Schein, Jammer, zerbrechend, wenn das Schicksal wirklich kommt, statt nur spielend heranzutreten? Sehen Sie mich an, es ist keine Lüge; Sie glauben es, wie ich es glaube! Das Feuer war ihm in die Wangen gestiegen und glühte in seinen Worten. Therese wußte nur zu gut, was er meinte; sie schwieg und er gefiel ihr unaussprechlich, er war ihr wie ein Bruder, und indem sie seine Hand hielt, schien durch seine Fingerspitzen ein Gefühl der Verwandtschaft in sie einzuströmen. Er ließ sie nun los, schritt den Saal hinunter und kam

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/47>, abgerufen am 03.12.2024.