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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Reihe auch an die beiden Schwestern, die Pro-
be zu machen; sie waren froh, denn sie hatten
kleine schöne Füße und glaubten, uns kann es
nicht fehlschlagen, wär der Prinz nur gleich zu
uns gekommen. "Hört, sagte die Mutter heim-
lich, da habt ihr ein Messer, und wenn euch
der Pantoffel doch noch zu eng ist, so schnei-
det euch ein Stück vom Fuß ab, es thut ein
bischen weh, was schadet das aber, es vergeht
bald und eine von euch wird Königin." Da
ging die älteste in ihre Kammer und probirte
den Pantoffel an, die Fußspitze kam hinein,
aber die Ferse war zu groß, da nahm sie das
Messer und schnitt sich ein Stück von der Fer-
se, bis sie den Fuß in den Pantoffel hinein-
zwängte. So ging sie heraus zu dem Prin-
zen, und wie der sah, daß sie den Pantoffel
anhatte, sagte er, das sey die Braut, führte
sie zum Wagen und wollte mit ihr fortfahren.
Wie er aber ans Thor kam, saßen oben die
Tauben und riefen:

"Rucke di guck, rucke di guck!
Blut ist im Schuck: (Schuh)
Der Schuck ist zu klein,
Die rechte Braut sitzt noch daheim!"

Der Prinz bückte sich und sah auf den Pan-
toffel, da quoll das Blut heraus, und da merk-
te er, daß er betrogen war, und führte die fal-
sche Braut zurück. Die Mutter aber sagte zur

G 2

Reihe auch an die beiden Schweſtern, die Pro-
be zu machen; ſie waren froh, denn ſie hatten
kleine ſchoͤne Fuͤße und glaubten, uns kann es
nicht fehlſchlagen, waͤr der Prinz nur gleich zu
uns gekommen. „Hoͤrt, ſagte die Mutter heim-
lich, da habt ihr ein Meſſer, und wenn euch
der Pantoffel doch noch zu eng iſt, ſo ſchnei-
det euch ein Stuͤck vom Fuß ab, es thut ein
bischen weh, was ſchadet das aber, es vergeht
bald und eine von euch wird Koͤnigin.“ Da
ging die aͤlteſte in ihre Kammer und probirte
den Pantoffel an, die Fußſpitze kam hinein,
aber die Ferſe war zu groß, da nahm ſie das
Meſſer und ſchnitt ſich ein Stuͤck von der Fer-
ſe, bis ſie den Fuß in den Pantoffel hinein-
zwaͤngte. So ging ſie heraus zu dem Prin-
zen, und wie der ſah, daß ſie den Pantoffel
anhatte, ſagte er, das ſey die Braut, fuͤhrte
ſie zum Wagen und wollte mit ihr fortfahren.
Wie er aber ans Thor kam, ſaßen oben die
Tauben und riefen:

„Rucke di guck, rucke di guck!
Blut iſt im Schuck: (Schuh)
Der Schuck iſt zu klein,
Die rechte Braut ſitzt noch daheim!“

Der Prinz buͤckte ſich und ſah auf den Pan-
toffel, da quoll das Blut heraus, und da merk-
te er, daß er betrogen war, und fuͤhrte die fal-
ſche Braut zuruͤck. Die Mutter aber ſagte zur

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[99/0133] Reihe auch an die beiden Schweſtern, die Pro- be zu machen; ſie waren froh, denn ſie hatten kleine ſchoͤne Fuͤße und glaubten, uns kann es nicht fehlſchlagen, waͤr der Prinz nur gleich zu uns gekommen. „Hoͤrt, ſagte die Mutter heim- lich, da habt ihr ein Meſſer, und wenn euch der Pantoffel doch noch zu eng iſt, ſo ſchnei- det euch ein Stuͤck vom Fuß ab, es thut ein bischen weh, was ſchadet das aber, es vergeht bald und eine von euch wird Koͤnigin.“ Da ging die aͤlteſte in ihre Kammer und probirte den Pantoffel an, die Fußſpitze kam hinein, aber die Ferſe war zu groß, da nahm ſie das Meſſer und ſchnitt ſich ein Stuͤck von der Fer- ſe, bis ſie den Fuß in den Pantoffel hinein- zwaͤngte. So ging ſie heraus zu dem Prin- zen, und wie der ſah, daß ſie den Pantoffel anhatte, ſagte er, das ſey die Braut, fuͤhrte ſie zum Wagen und wollte mit ihr fortfahren. Wie er aber ans Thor kam, ſaßen oben die Tauben und riefen: „Rucke di guck, rucke di guck! Blut iſt im Schuck: (Schuh) Der Schuck iſt zu klein, Die rechte Braut ſitzt noch daheim!“ Der Prinz buͤckte ſich und ſah auf den Pan- toffel, da quoll das Blut heraus, und da merk- te er, daß er betrogen war, und fuͤhrte die fal- ſche Braut zuruͤck. Die Mutter aber ſagte zur G 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/133>, abgerufen am 21.11.2024.