Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

zweiten Tochter: "nimm du den Pantoffel, und
wenn er dir zu kurz ist, so schneide lieber vor-
ne an den Zehen ab. Da nahm sie den Pan-
toffel in ihre Kammer, und als der Fuß zu
groß war, da biß sie die Zähne zusammen und
schnitt ein groß Stück von den Zehen ab, und
drückte den Pantoffel geschwind an. Wie sie
damit hervortrat, meinte er, das wäre die rech-
te und wollte mit ihr fortfahren. Als er aber
in das Thor kam, riefen die Tauben wieder:

"Rucke di guck, rucke di guck!
Blut ist im Schuck:
Der Schuck ist zu klein,
Die rechte Braut sitzt noch daheim!"

Der Prinz sah nieder, da waren die weißen
Strümpfe der Braut roth gefärbt und das
Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte
sie der Prinz der Mutter wieder und sagte:
"das ist auch nicht die rechte Braut; aber ist
nicht noch eine Tochter im Haus." -- "Nein,
sagte die Mutter, nur ein garstiges Aschenput-
tel ist noch da, das sitzt unten in der Asche,
dem kann der Pantoffel nicht passen. Sie
wollte es auch nicht rufen lassen, bis es der
Prinz durchaus verlangte. Da ward Aschen-
puttel gerufen und wie es hörte, daß der Prinz
da sey, wusch es sich geschwind Gesicht und
Hände frisch und rein; und wie es in die
Stube trat, neigte es sich, der Prinz aber

zweiten Tochter: „nimm du den Pantoffel, und
wenn er dir zu kurz iſt, ſo ſchneide lieber vor-
ne an den Zehen ab. Da nahm ſie den Pan-
toffel in ihre Kammer, und als der Fuß zu
groß war, da biß ſie die Zaͤhne zuſammen und
ſchnitt ein groß Stuͤck von den Zehen ab, und
druͤckte den Pantoffel geſchwind an. Wie ſie
damit hervortrat, meinte er, das waͤre die rech-
te und wollte mit ihr fortfahren. Als er aber
in das Thor kam, riefen die Tauben wieder:

„Rucke di guck, rucke di guck!
Blut iſt im Schuck:
Der Schuck iſt zu klein,
Die rechte Braut ſitzt noch daheim!“

Der Prinz ſah nieder, da waren die weißen
Struͤmpfe der Braut roth gefaͤrbt und das
Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte
ſie der Prinz der Mutter wieder und ſagte:
„das iſt auch nicht die rechte Braut; aber iſt
nicht noch eine Tochter im Haus.“ — „Nein,
ſagte die Mutter, nur ein garſtiges Aſchenput-
tel iſt noch da, das ſitzt unten in der Aſche,
dem kann der Pantoffel nicht paſſen. Sie
wollte es auch nicht rufen laſſen, bis es der
Prinz durchaus verlangte. Da ward Aſchen-
puttel gerufen und wie es hoͤrte, daß der Prinz
da ſey, wuſch es ſich geſchwind Geſicht und
Haͤnde friſch und rein; und wie es in die
Stube trat, neigte es ſich, der Prinz aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="100"/>
zweiten Tochter: &#x201E;nimm du den Pantoffel, und<lb/>
wenn er dir zu kurz i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;chneide lieber vor-<lb/>
ne an den Zehen ab. Da nahm &#x017F;ie den Pan-<lb/>
toffel in ihre Kammer, und als der Fuß zu<lb/>
groß war, da biß &#x017F;ie die Za&#x0364;hne zu&#x017F;ammen und<lb/>
&#x017F;chnitt ein groß Stu&#x0364;ck von den Zehen ab, und<lb/>
dru&#x0364;ckte den Pantoffel ge&#x017F;chwind an. Wie &#x017F;ie<lb/>
damit hervortrat, meinte er, das wa&#x0364;re die rech-<lb/>
te und wollte mit ihr fortfahren. Als er aber<lb/>
in das Thor kam, riefen die Tauben wieder:<lb/><lg type="poem"><l>&#x201E;Rucke di guck, rucke di guck!</l><lb/><l>Blut i&#x017F;t im Schuck:</l><lb/><l>Der Schuck i&#x017F;t zu klein,</l><lb/><l>Die rechte Braut &#x017F;itzt noch daheim!&#x201C;</l></lg><lb/>
Der Prinz &#x017F;ah nieder, da waren die weißen<lb/>
Stru&#x0364;mpfe der Braut roth gefa&#x0364;rbt und das<lb/>
Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte<lb/>
&#x017F;ie der Prinz der Mutter wieder und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;das i&#x017F;t auch nicht die rechte Braut; aber i&#x017F;t<lb/>
nicht noch eine Tochter im Haus<choice><sic/><corr>.</corr></choice>&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nein,<lb/>
&#x017F;agte die Mutter, nur ein gar&#x017F;tiges A&#x017F;chenput-<lb/>
tel i&#x017F;t noch da, das &#x017F;itzt unten in der A&#x017F;che,<lb/>
dem kann der Pantoffel nicht pa&#x017F;&#x017F;en. Sie<lb/>
wollte es auch nicht rufen la&#x017F;&#x017F;en, bis es der<lb/>
Prinz durchaus verlangte. Da ward A&#x017F;chen-<lb/>
puttel gerufen und wie es ho&#x0364;rte, daß der Prinz<lb/>
da &#x017F;ey, wu&#x017F;ch es &#x017F;ich ge&#x017F;chwind Ge&#x017F;icht und<lb/>
Ha&#x0364;nde fri&#x017F;ch und rein; und wie es in die<lb/>
Stube trat, neigte es &#x017F;ich, der Prinz aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0134] zweiten Tochter: „nimm du den Pantoffel, und wenn er dir zu kurz iſt, ſo ſchneide lieber vor- ne an den Zehen ab. Da nahm ſie den Pan- toffel in ihre Kammer, und als der Fuß zu groß war, da biß ſie die Zaͤhne zuſammen und ſchnitt ein groß Stuͤck von den Zehen ab, und druͤckte den Pantoffel geſchwind an. Wie ſie damit hervortrat, meinte er, das waͤre die rech- te und wollte mit ihr fortfahren. Als er aber in das Thor kam, riefen die Tauben wieder: „Rucke di guck, rucke di guck! Blut iſt im Schuck: Der Schuck iſt zu klein, Die rechte Braut ſitzt noch daheim!“ Der Prinz ſah nieder, da waren die weißen Struͤmpfe der Braut roth gefaͤrbt und das Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte ſie der Prinz der Mutter wieder und ſagte: „das iſt auch nicht die rechte Braut; aber iſt nicht noch eine Tochter im Haus.“ — „Nein, ſagte die Mutter, nur ein garſtiges Aſchenput- tel iſt noch da, das ſitzt unten in der Aſche, dem kann der Pantoffel nicht paſſen. Sie wollte es auch nicht rufen laſſen, bis es der Prinz durchaus verlangte. Da ward Aſchen- puttel gerufen und wie es hoͤrte, daß der Prinz da ſey, wuſch es ſich geſchwind Geſicht und Haͤnde friſch und rein; und wie es in die Stube trat, neigte es ſich, der Prinz aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/134
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/134>, abgerufen am 21.11.2024.