dem riß es den Leib mit seinen Hauern auf. Da ließ der König bekannt machen, wer das Schwein erlege, der solle seine Tochter zur Ge- mahlin haben. Nun waren in dem Königreich drei Brüder, davon war der älteste listig und klug, der zweite von gewöhnlichem Verstand, der dritte und jüngste aber war unschuldig und dumm. Die gedachten die Prinzessin zu ge- winnen, wollten das Wildschwein aufsuchen und tödten.
Die zwei ältesten gingen mit einander, der jüngste aber ging allein. Als er in den Wald hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sag- te zu ihm: "nimm diese Lanze und geh damit auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirst es leicht tödten." Also geschah es, er traf mit der schwarzen Lanze das Schwein, daß es zur Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und zog vergnügt heim. Unterwegs kam er an ein Haus, darin waren seine beiden ältesten Brü- der, und machten sich lustig beim Wein; als sie ihn mit dem Schwein auf dem Rücken daher ziehen sahen, riefen sie ihn an: "komm herein und trink mit uns, du wirst doch müde seyn." Der unschuldige Dumme denkt an nichts Böses, tritt ein, erzählt ihnen wie er das Schwein durch die schwarze Lanze getödtet habe, und freut sich über sein Glück. Abends gingen sie
dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf. Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge- mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand, der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge- winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen und toͤdten.
Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag- te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ- der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“ Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes, tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="120"/>
dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf.<lb/>
Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das<lb/>
Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge-<lb/>
mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich<lb/>
drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und<lb/>
klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand,<lb/>
der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und<lb/>
dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge-<lb/>
winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen<lb/>
und toͤdten.</p><lb/><p>Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der<lb/>
juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald<lb/>
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der<lb/>
hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag-<lb/>
te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit<lb/>
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt<lb/>
es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit<lb/>
der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur<lb/>
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und<lb/>
zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein<lb/>
Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ-<lb/>
der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie<lb/>
ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher<lb/>
ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein<lb/>
und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“<lb/>
Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes,<lb/>
tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein<lb/>
durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und<lb/>
freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[120/0154]
dem riß es den Leib mit ſeinen Hauern auf.
Da ließ der Koͤnig bekannt machen, wer das
Schwein erlege, der ſolle ſeine Tochter zur Ge-
mahlin haben. Nun waren in dem Koͤnigreich
drei Bruͤder, davon war der aͤlteſte liſtig und
klug, der zweite von gewoͤhnlichem Verſtand,
der dritte und juͤngſte aber war unſchuldig und
dumm. Die gedachten die Prinzeſſin zu ge-
winnen, wollten das Wildſchwein aufſuchen
und toͤdten.
Die zwei aͤlteſten gingen mit einander, der
juͤngſte aber ging allein. Als er in den Wald
hineinkam, trat ein kleiner Mann vor ihn, der
hielt eine ſchwarze Lanze in der Hand und ſag-
te zu ihm: „nimm dieſe Lanze und geh damit
auf das Schwein los, ohne Furcht, du wirſt
es leicht toͤdten.“ Alſo geſchah es, er traf mit
der ſchwarzen Lanze das Schwein, daß es zur
Erde fiel, nahm es dann auf die Schulter und
zog vergnuͤgt heim. Unterwegs kam er an ein
Haus, darin waren ſeine beiden aͤlteſten Bruͤ-
der, und machten ſich luſtig beim Wein; als ſie
ihn mit dem Schwein auf dem Ruͤcken daher
ziehen ſahen, riefen ſie ihn an: „komm herein
und trink mit uns, du wirſt doch muͤde ſeyn.“
Der unſchuldige Dumme denkt an nichts Boͤſes,
tritt ein, erzaͤhlt ihnen wie er das Schwein
durch die ſchwarze Lanze getoͤdtet habe, und
freut ſich uͤber ſein Gluͤck. Abends gingen ſie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/154>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.