mit einander nach Haus, da machten die bei- den ältesten einen Anschlag auf des andern Le- ben, ließen ihn voran gehen, und als sie vor die Stadt an die Brücke kamen, fielen sie über ihn her, schlugen ihn todt und begruben ihn tief unter die Brücke. Dann nahm der älteste das Schwein, trugs zu dem König, gab vor er habe es getödtet und erhielt die Prinzessin zur Gemahlin.
Das dauerte viele Jahre, doch sollt es nicht verborgen bleiben. Da ging einmal ein Hirt über die Brücke und sah unten im Sand ein Knöchlein liegen, und weil es so rein und schneeweiß war, wollt er sich ein Mund- stück daraus machen, ging hinab und hob es auf. Darnach machte er sichs zum Mundstück für sein Horn, und wie er ansetzen und blasen wollte, da fing das Knöchlein an, von selbst zu singen:
"Ach! du liebes Hirtelein, du bläßt auf meinem Knöchelein: meine Brüder mich erschlugen unter die Brücke begruben, um das wilde Schwein für des Königs Töchterlein."
Da nahm der Hirt das Horn und trug es vor den König, da sang es wieder dieselben Worte. Als der König das hörte, ließ er unter der Brücke graben, da ward bald das Gerippe her-
mit einander nach Haus, da machten die bei- den aͤlteſten einen Anſchlag auf des andern Le- ben, ließen ihn voran gehen, und als ſie vor die Stadt an die Bruͤcke kamen, fielen ſie uͤber ihn her, ſchlugen ihn todt und begruben ihn tief unter die Bruͤcke. Dann nahm der aͤlteſte das Schwein, trugs zu dem Koͤnig, gab vor er habe es getoͤdtet und erhielt die Prinzeſſin zur Gemahlin.
Das dauerte viele Jahre, doch ſollt es nicht verborgen bleiben. Da ging einmal ein Hirt uͤber die Bruͤcke und ſah unten im Sand ein Knoͤchlein liegen, und weil es ſo rein und ſchneeweiß war, wollt er ſich ein Mund- ſtuͤck daraus machen, ging hinab und hob es auf. Darnach machte er ſichs zum Mundſtuͤck fuͤr ſein Horn, und wie er anſetzen und blaſen wollte, da fing das Knoͤchlein an, von ſelbſt zu ſingen:
„Ach! du liebes Hirtelein, du blaͤßt auf meinem Knoͤchelein: meine Bruͤder mich erſchlugen unter die Bruͤcke begruben, um das wilde Schwein fuͤr des Koͤnigs Toͤchterlein.“
Da nahm der Hirt das Horn und trug es vor den Koͤnig, da ſang es wieder dieſelben Worte. Als der Koͤnig das hoͤrte, ließ er unter der Bruͤcke graben, da ward bald das Gerippe her-
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mit einander nach Haus, da machten die bei-
den aͤlteſten einen Anſchlag auf des andern Le-
ben, ließen ihn voran gehen, und als ſie vor
die Stadt an die Bruͤcke kamen, fielen ſie uͤber
ihn her, ſchlugen ihn todt und begruben ihn
tief unter die Bruͤcke. Dann nahm der aͤlteſte
das Schwein, trugs zu dem Koͤnig, gab vor
er habe es getoͤdtet und erhielt die Prinzeſſin
zur Gemahlin.
Das dauerte viele Jahre, doch ſollt es
nicht verborgen bleiben. Da ging einmal ein
Hirt uͤber die Bruͤcke und ſah unten im Sand
ein Knoͤchlein liegen, und weil es ſo rein
und ſchneeweiß war, wollt er ſich ein Mund-
ſtuͤck daraus machen, ging hinab und hob es
auf. Darnach machte er ſichs zum Mundſtuͤck
fuͤr ſein Horn, und wie er anſetzen und blaſen
wollte, da fing das Knoͤchlein an, von ſelbſt
zu ſingen:
„Ach! du liebes Hirtelein,
du blaͤßt auf meinem Knoͤchelein:
meine Bruͤder mich erſchlugen
unter die Bruͤcke begruben,
um das wilde Schwein
fuͤr des Koͤnigs Toͤchterlein.“
Da nahm der Hirt das Horn und trug es vor
den Koͤnig, da ſang es wieder dieſelben Worte.
Als der Koͤnig das hoͤrte, ließ er unter der
Bruͤcke graben, da ward bald das Gerippe her-
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/155>, abgerufen am 21.11.2024.
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