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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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folgte ihm im Reich nach, und lebte in soweit
glücklich mit seiner Gemahlin.

Nun mußte aber einmal der König in den
Krieg ziehen und während seiner Abwesenheit
gebar sie ein schönes Kind, und sandte einen
Boten mit einem Brief ab, worin sie ihrem
Gemahl die frohe Nachricht meldete. Der Bote
ruhte unterwegs an einem Bache und schlief
ein, da kam der Teufel, der ihr immer zu scha-
den trachtete, und vertauschte den Brief mit ei-
nem andern, worin stand, daß die Königin ei-
nen Wechselbalg zur Welt gebracht hätte. Der
König, als er den Brief las, betrübte sich sehr,
doch schrieb er zur Antwort: man solle die Kö-
nigin und das Kind wohl halten, bis zu seiner
Rückkunft. Der Bote ging mit dem Brief zurück
und als er am nämlichen Platz ruhte und ein-
geschlafen war, nahte sich der böse Teufel wie-
der, und schob einen andern Brief unter, worin
der König befahl, Königin und Kind aus dem
Land zu jagen. Dies mußte nun so geschehen,
so sehr auch alle Leute vor Traurigkeit wein-
ten: "ich bin nicht hierhergekommen, um Köni-
gin zu werden, ich habe kein Glück und ver-
lange auch keins, bindet mir mein Kind und
die Hände auf den Rücken, so will ich in die
Welt ziehen." Abends kam sie in einen dicken
Wald zu einem Brunnen, wobei ein guter al-
ter Mann saß. "Seyd doch so barmherzig, sprach

folgte ihm im Reich nach, und lebte in ſoweit
gluͤcklich mit ſeiner Gemahlin.

Nun mußte aber einmal der Koͤnig in den
Krieg ziehen und waͤhrend ſeiner Abweſenheit
gebar ſie ein ſchoͤnes Kind, und ſandte einen
Boten mit einem Brief ab, worin ſie ihrem
Gemahl die frohe Nachricht meldete. Der Bote
ruhte unterwegs an einem Bache und ſchlief
ein, da kam der Teufel, der ihr immer zu ſcha-
den trachtete, und vertauſchte den Brief mit ei-
nem andern, worin ſtand, daß die Koͤnigin ei-
nen Wechſelbalg zur Welt gebracht haͤtte. Der
Koͤnig, als er den Brief las, betruͤbte ſich ſehr,
doch ſchrieb er zur Antwort: man ſolle die Koͤ-
nigin und das Kind wohl halten, bis zu ſeiner
Ruͤckkunft. Der Bote ging mit dem Brief zuruͤck
und als er am naͤmlichen Platz ruhte und ein-
geſchlafen war, nahte ſich der boͤſe Teufel wie-
der, und ſchob einen andern Brief unter, worin
der Koͤnig befahl, Koͤnigin und Kind aus dem
Land zu jagen. Dies mußte nun ſo geſchehen,
ſo ſehr auch alle Leute vor Traurigkeit wein-
ten: „ich bin nicht hierhergekommen, um Koͤni-
gin zu werden, ich habe kein Gluͤck und ver-
lange auch keins, bindet mir mein Kind und
die Haͤnde auf den Ruͤcken, ſo will ich in die
Welt ziehen.“ Abends kam ſie in einen dicken
Wald zu einem Brunnen, wobei ein guter al-
ter Mann ſaß. „Seyd doch ſo barmherzig, ſprach

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[136/0170] folgte ihm im Reich nach, und lebte in ſoweit gluͤcklich mit ſeiner Gemahlin. Nun mußte aber einmal der Koͤnig in den Krieg ziehen und waͤhrend ſeiner Abweſenheit gebar ſie ein ſchoͤnes Kind, und ſandte einen Boten mit einem Brief ab, worin ſie ihrem Gemahl die frohe Nachricht meldete. Der Bote ruhte unterwegs an einem Bache und ſchlief ein, da kam der Teufel, der ihr immer zu ſcha- den trachtete, und vertauſchte den Brief mit ei- nem andern, worin ſtand, daß die Koͤnigin ei- nen Wechſelbalg zur Welt gebracht haͤtte. Der Koͤnig, als er den Brief las, betruͤbte ſich ſehr, doch ſchrieb er zur Antwort: man ſolle die Koͤ- nigin und das Kind wohl halten, bis zu ſeiner Ruͤckkunft. Der Bote ging mit dem Brief zuruͤck und als er am naͤmlichen Platz ruhte und ein- geſchlafen war, nahte ſich der boͤſe Teufel wie- der, und ſchob einen andern Brief unter, worin der Koͤnig befahl, Koͤnigin und Kind aus dem Land zu jagen. Dies mußte nun ſo geſchehen, ſo ſehr auch alle Leute vor Traurigkeit wein- ten: „ich bin nicht hierhergekommen, um Koͤni- gin zu werden, ich habe kein Gluͤck und ver- lange auch keins, bindet mir mein Kind und die Haͤnde auf den Ruͤcken, ſo will ich in die Welt ziehen.“ Abends kam ſie in einen dicken Wald zu einem Brunnen, wobei ein guter al- ter Mann ſaß. „Seyd doch ſo barmherzig, ſprach

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/170>, abgerufen am 21.11.2024.