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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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und sie mußte über all die Schlafenden wegge-
hen

, bis zur Thüre. Behutsam setzte sie im-
mer ihren Fuß in die Zwischenräume, und im-
mer war ihr bang, sie möchte einen aufwecken,
allein es geschah zum Glück nicht, und als sie
die Thüre erreicht hatte und in dem Wald wie-
der war, folgte sie den Bändern, denn der
Mond schien ganz hell, so lange bis sie wieder
nach Haus gelangte.

Ihrem Vater erzählte sie nun alles, was
ihr begegnet war, der gab gleich Befehl, ein
ganzes Regiment sollte das Schloß umzingeln,
sobald der Bräutigam einträfe. Dieses ge-
schah, der Bräutigam kam desselben Tags und
fragte gleich: warum sie denn gestern nicht zu
ihm gekommen wäre, wie sie doch versprochen
gehabt hätte? So sprach sie: ich habe einen
so schweren Traum gehabt; mir träumte, ich
käme in ein Haus, da saß eine alte Frau vor
der Thüre, welche zu mir sprach: wie gut ist
es doch für euch, mein Kind, daß ihr jetzt
kommt, dieweil niemand zu Haus ist, denn ich
muß es euch nur sagen, ich habe da Wasser
tragen müssen in einen großen Kessel, da wol-
len sie euch umbringen, sieden und hernach essen.
Und wie sie noch so sprach, kamen die Spitz-
buben heim, da sagte die Alte, eh mich jemand
merkte, geschwind hinunter in den Keller, ver-
steckt euch hinter das große Faß, kaum aber

und ſie mußte uͤber all die Schlafenden wegge-
hen

, bis zur Thuͤre. Behutſam ſetzte ſie im-
mer ihren Fuß in die Zwiſchenraͤume, und im-
mer war ihr bang, ſie moͤchte einen aufwecken,
allein es geſchah zum Gluͤck nicht, und als ſie
die Thuͤre erreicht hatte und in dem Wald wie-
der war, folgte ſie den Baͤndern, denn der
Mond ſchien ganz hell, ſo lange bis ſie wieder
nach Haus gelangte.

Ihrem Vater erzaͤhlte ſie nun alles, was
ihr begegnet war, der gab gleich Befehl, ein
ganzes Regiment ſollte das Schloß umzingeln,
ſobald der Braͤutigam eintraͤfe. Dieſes ge-
ſchah, der Braͤutigam kam desſelben Tags und
fragte gleich: warum ſie denn geſtern nicht zu
ihm gekommen waͤre, wie ſie doch verſprochen
gehabt haͤtte? So ſprach ſie: ich habe einen
ſo ſchweren Traum gehabt; mir traͤumte, ich
kaͤme in ein Haus, da ſaß eine alte Frau vor
der Thuͤre, welche zu mir ſprach: wie gut iſt
es doch fuͤr euch, mein Kind, daß ihr jetzt
kommt, dieweil niemand zu Haus iſt, denn ich
muß es euch nur ſagen, ich habe da Waſſer
tragen muͤſſen in einen großen Keſſel, da wol-
len ſie euch umbringen, ſieden und hernach eſſen.
Und wie ſie noch ſo ſprach, kamen die Spitz-
buben heim, da ſagte die Alte, eh mich jemand
merkte, geſchwind hinunter in den Keller, ver-
ſteckt euch hinter das große Faß, kaum aber

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[186/0220] und ſie mußte uͤber all die Schlafenden wegge- hen , bis zur Thuͤre. Behutſam ſetzte ſie im- mer ihren Fuß in die Zwiſchenraͤume, und im- mer war ihr bang, ſie moͤchte einen aufwecken, allein es geſchah zum Gluͤck nicht, und als ſie die Thuͤre erreicht hatte und in dem Wald wie- der war, folgte ſie den Baͤndern, denn der Mond ſchien ganz hell, ſo lange bis ſie wieder nach Haus gelangte. Ihrem Vater erzaͤhlte ſie nun alles, was ihr begegnet war, der gab gleich Befehl, ein ganzes Regiment ſollte das Schloß umzingeln, ſobald der Braͤutigam eintraͤfe. Dieſes ge- ſchah, der Braͤutigam kam desſelben Tags und fragte gleich: warum ſie denn geſtern nicht zu ihm gekommen waͤre, wie ſie doch verſprochen gehabt haͤtte? So ſprach ſie: ich habe einen ſo ſchweren Traum gehabt; mir traͤumte, ich kaͤme in ein Haus, da ſaß eine alte Frau vor der Thuͤre, welche zu mir ſprach: wie gut iſt es doch fuͤr euch, mein Kind, daß ihr jetzt kommt, dieweil niemand zu Haus iſt, denn ich muß es euch nur ſagen, ich habe da Waſſer tragen muͤſſen in einen großen Keſſel, da wol- len ſie euch umbringen, ſieden und hernach eſſen. Und wie ſie noch ſo ſprach, kamen die Spitz- buben heim, da ſagte die Alte, eh mich jemand merkte, geſchwind hinunter in den Keller, ver- ſteckt euch hinter das große Faß, kaum aber

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/220>, abgerufen am 21.11.2024.