die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen und ging nicht einmal, sondern vielemal hinaus an den Brunnen und Lehnchen sah es: "hör einmal, alte Sanne, was trägst du denn so viel Wasser zu?" -- wenn dus keinen Menschen wieder sagen willst, so will ich dirs wohl sagen. Da sagte Lehn- chen, nein, sie wollte es keinem Menschen wie- der sagen, so sprach die Köchin: "morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist, da koche ich das Wasser, und wenns in dem Kessel siedet, werf ich den Fundevogel 'nein, und will ihn darin kochen."
Und des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett, da sprach Lehnchen zum Fundevogel: verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht!" so sprach der Fundevogel: nun und nimmermehr. Da sprach Lehnchen: "ich will es dir nur sagen, die Sanne schleppte gestern Abends so viel Eimer Wasser ins Haus, so fragte ich sie, warum sie das thäte, so sagte sie: wenn ichs keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen; so sprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen, da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, und dich hineinwerfen und kochen. Wir
die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Waſſer zu ſchleppen und ging nicht einmal, ſondern vielemal hinaus an den Brunnen und Lehnchen ſah es: „hoͤr einmal, alte Sanne, was traͤgſt du denn ſo viel Waſſer zu?“ — wenn dus keinen Menſchen wieder ſagen willſt, ſo will ich dirs wohl ſagen. Da ſagte Lehn- chen, nein, ſie wollte es keinem Menſchen wie- der ſagen, ſo ſprach die Koͤchin: „morgen fruͤh, wenn der Foͤrſter auf die Jagd iſt, da koche ich das Waſſer, und wenns in dem Keſſel ſiedet, werf ich den Fundevogel 'nein, und will ihn darin kochen.“
Und des andern Morgens in aller Fruͤhe ſtieg der Foͤrſter auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett, da ſprach Lehnchen zum Fundevogel: verlaͤßt du mich nicht, ſo verlaß ich dich auch nicht!“ ſo ſprach der Fundevogel: nun und nimmermehr. Da ſprach Lehnchen: „ich will es dir nur ſagen, die Sanne ſchleppte geſtern Abends ſo viel Eimer Waſſer ins Haus, ſo fragte ich ſie, warum ſie das thaͤte, ſo ſagte ſie: wenn ichs keinem Menſchen ſagen wollte, ſo wollte ſie es mir wohl ſagen; ſo ſprach ich: ich wollte es gewiß keinem Menſchen ſagen, da ſagte ſie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die Jagd waͤre, wollte ſie den Keſſel voll Waſſer ſieden, und dich hineinwerfen und kochen. Wir
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die nahm eines Abends zwei Eimer und fing
an Waſſer zu ſchleppen und ging nicht einmal,
ſondern vielemal hinaus an den Brunnen und
Lehnchen ſah es: „hoͤr einmal, alte Sanne,
was traͤgſt du denn ſo viel Waſſer zu?“ —
wenn dus keinen Menſchen wieder ſagen willſt,
ſo will ich dirs wohl ſagen. Da ſagte Lehn-
chen, nein, ſie wollte es keinem Menſchen wie-
der ſagen, ſo ſprach die Koͤchin: „morgen fruͤh,
wenn der Foͤrſter auf die Jagd iſt, da koche ich
das Waſſer, und wenns in dem Keſſel ſiedet,
werf ich den Fundevogel 'nein, und will ihn
darin kochen.“
Und des andern Morgens in aller Fruͤhe
ſtieg der Foͤrſter auf und ging auf die Jagd,
und als er weg war, lagen die Kinder noch im
Bett, da ſprach Lehnchen zum Fundevogel:
verlaͤßt du mich nicht, ſo verlaß ich dich auch
nicht!“ ſo ſprach der Fundevogel: nun und
nimmermehr. Da ſprach Lehnchen: „ich will
es dir nur ſagen, die Sanne ſchleppte geſtern
Abends ſo viel Eimer Waſſer ins Haus, ſo
fragte ich ſie, warum ſie das thaͤte, ſo ſagte
ſie: wenn ichs keinem Menſchen ſagen wollte,
ſo wollte ſie es mir wohl ſagen; ſo ſprach ich:
ich wollte es gewiß keinem Menſchen ſagen, da
ſagte ſie, morgen fruͤh, wenn der Vater auf die
Jagd waͤre, wollte ſie den Keſſel voll Waſſer
ſieden, und dich hineinwerfen und kochen. Wir
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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