aus, wie er aber den Hirschfänger gezogen hat- te und eben zustechen wollte, da fing es an zu weinen, und bat so sehr, er mögt ihm sein Le- ben lassen, es wollt nimmermehr zurückkom- men, sondern in dem Wald fortlaufen. Den Jäger erbarmte es, weil es so schön war und gedachte: die wilden Thiere werden es doch bald gefressen haben, ich bin froh, daß ich es nicht zu tödten brauche, und weil gerade ein junger Frischling gelaufen kam, stach er den nieder, nahm Lunge und Leber heraus und bracht sie als Wahrzeichen der Königin mit, die kochte sie mit Salz und aß sie auf, und meinte sie hätte Sneewittchens Lunge und Le- ber gegessen.
Sneewittchen aber war in dem großen Wald mutterseelig allein, so daß ihm recht Angst ward und fing an zu laufen und zu lau- fen über die spitzen Steine, und durch die Dor- nen den ganzen Tag: endlich, als die Sonne untergehen wollte, kam es zu einem kleinen Häuschen. Das Häuschen gehörte sieben Zwer- gen, die waren aber nicht zu Haus, sondern in das Bergwerk gegangen. Sneewittchen ging hinein und fand alles klein, aber niedlich und reinlich: da stand ein Tischlein mit sieben kleinen Tellern, dabei sieben Löfflein, sieben Messerlein und Gäblein, sieben Becherlein, und an der Wand standen sieben Bettlein neben ein-
ander
aus, wie er aber den Hirſchfaͤnger gezogen hat- te und eben zuſtechen wollte, da fing es an zu weinen, und bat ſo ſehr, er moͤgt ihm ſein Le- ben laſſen, es wollt nimmermehr zuruͤckkom- men, ſondern in dem Wald fortlaufen. Den Jaͤger erbarmte es, weil es ſo ſchoͤn war und gedachte: die wilden Thiere werden es doch bald gefreſſen haben, ich bin froh, daß ich es nicht zu toͤdten brauche, und weil gerade ein junger Friſchling gelaufen kam, ſtach er den nieder, nahm Lunge und Leber heraus und bracht ſie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit, die kochte ſie mit Salz und aß ſie auf, und meinte ſie haͤtte Sneewittchens Lunge und Le- ber gegeſſen.
Sneewittchen aber war in dem großen Wald mutterſeelig allein, ſo daß ihm recht Angſt ward und fing an zu laufen und zu lau- fen uͤber die ſpitzen Steine, und durch die Dor- nen den ganzen Tag: endlich, als die Sonne untergehen wollte, kam es zu einem kleinen Haͤuschen. Das Haͤuschen gehoͤrte ſieben Zwer- gen, die waren aber nicht zu Haus, ſondern in das Bergwerk gegangen. Sneewittchen ging hinein und fand alles klein, aber niedlich und reinlich: da ſtand ein Tiſchlein mit ſieben kleinen Tellern, dabei ſieben Loͤfflein, ſieben Meſſerlein und Gaͤblein, ſieben Becherlein, und an der Wand ſtanden ſieben Bettlein neben ein-
ander
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aus, wie er aber den Hirſchfaͤnger gezogen hat-
te und eben zuſtechen wollte, da fing es an zu
weinen, und bat ſo ſehr, er moͤgt ihm ſein Le-
ben laſſen, es wollt nimmermehr zuruͤckkom-
men, ſondern in dem Wald fortlaufen. Den
Jaͤger erbarmte es, weil es ſo ſchoͤn war und
gedachte: die wilden Thiere werden es doch
bald gefreſſen haben, ich bin froh, daß ich es
nicht zu toͤdten brauche, und weil gerade ein
junger Friſchling gelaufen kam, ſtach er den
nieder, nahm Lunge und Leber heraus und
bracht ſie als Wahrzeichen der Koͤnigin mit,
die kochte ſie mit Salz und aß ſie auf, und
meinte ſie haͤtte Sneewittchens Lunge und Le-
ber gegeſſen.
Sneewittchen aber war in dem großen
Wald mutterſeelig allein, ſo daß ihm recht
Angſt ward und fing an zu laufen und zu lau-
fen uͤber die ſpitzen Steine, und durch die Dor-
nen den ganzen Tag: endlich, als die Sonne
untergehen wollte, kam es zu einem kleinen
Haͤuschen. Das Haͤuschen gehoͤrte ſieben Zwer-
gen, die waren aber nicht zu Haus, ſondern
in das Bergwerk gegangen. Sneewittchen
ging hinein und fand alles klein, aber niedlich
und reinlich: da ſtand ein Tiſchlein mit ſieben
kleinen Tellern, dabei ſieben Loͤfflein, ſieben
Meſſerlein und Gaͤblein, ſieben Becherlein, und
an der Wand ſtanden ſieben Bettlein neben ein-
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/274>, abgerufen am 22.11.2024.
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