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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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bebte sie vor Zorn: "so soll das Sneewittchen
noch sterben, und wenn es mein Leben kostet!"
Dann ging sie in ihre heimlichste Stube, und
niemand durfte vor sie kommen, und da mach-
te sie einen giftigen, giftigen Apfel, äußerlich
war er schön und rothbäckig, und jeder der ihn
sah, bekam Lust dazu. Darauf verkleidete sie
sich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus
und klopfte an. Sneewittchen guckte und sag-
te: "ich darf keinen Menschen einlassen, die
Zwerge haben mirs bei Leibe verboten." "Nun,
wenn Ihr nicht wollt, sagte die Bäuerin, kann
ich euch nicht zwingen, meine Aepfel will ich
schon los werden, da, einen will ich euch zur
Probe schenken." -- "Nein, ich darf auch
nichts geschenkt nehmen, die Zwerge wollens
nicht haben." -- "Ihr mögt Euch wohl fürch-
ten, da will ich den Apfel entzwei schneiden
und die Hälfte essen, da den schönen rothen
Backen sollt Ihr haben;" der Apfel war aber
so künstlich gemacht, daß nur die rothe Hälfte
vergiftet war. Da sah Sneewittchen, daß die
Bäuerin selber davon aß, und sein Gelüsten
darnach ward immer größer, da ließ es sich end-
lich die andere Hälfte durchs Fenster reichen,
und biß hinein, kaum aber hatte es einen Bis-
sen im Mund, so fiel es todt zur Erde.

Die Königin aber freute sich, ging nach Haus
und fragte den Spiegel:

bebte ſie vor Zorn: „ſo ſoll das Sneewittchen
noch ſterben, und wenn es mein Leben koſtet!“
Dann ging ſie in ihre heimlichſte Stube, und
niemand durfte vor ſie kommen, und da mach-
te ſie einen giftigen, giftigen Apfel, aͤußerlich
war er ſchoͤn und rothbaͤckig, und jeder der ihn
ſah, bekam Luſt dazu. Darauf verkleidete ſie
ſich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus
und klopfte an. Sneewittchen guckte und ſag-
te: „ich darf keinen Menſchen einlaſſen, die
Zwerge haben mirs bei Leibe verboten.“ „Nun,
wenn Ihr nicht wollt, ſagte die Baͤuerin, kann
ich euch nicht zwingen, meine Aepfel will ich
ſchon los werden, da, einen will ich euch zur
Probe ſchenken.“ — „Nein, ich darf auch
nichts geſchenkt nehmen, die Zwerge wollens
nicht haben.“ — „Ihr moͤgt Euch wohl fuͤrch-
ten, da will ich den Apfel entzwei ſchneiden
und die Haͤlfte eſſen, da den ſchoͤnen rothen
Backen ſollt Ihr haben;“ der Apfel war aber
ſo kuͤnſtlich gemacht, daß nur die rothe Haͤlfte
vergiftet war. Da ſah Sneewittchen, daß die
Baͤuerin ſelber davon aß, und ſein Geluͤſten
darnach ward immer groͤßer, da ließ es ſich end-
lich die andere Haͤlfte durchs Fenſter reichen,
und biß hinein, kaum aber hatte es einen Biſ-
ſen im Mund, ſo fiel es todt zur Erde.

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und fragte den Spiegel:

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[246/0280] bebte ſie vor Zorn: „ſo ſoll das Sneewittchen noch ſterben, und wenn es mein Leben koſtet!“ Dann ging ſie in ihre heimlichſte Stube, und niemand durfte vor ſie kommen, und da mach- te ſie einen giftigen, giftigen Apfel, aͤußerlich war er ſchoͤn und rothbaͤckig, und jeder der ihn ſah, bekam Luſt dazu. Darauf verkleidete ſie ſich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus und klopfte an. Sneewittchen guckte und ſag- te: „ich darf keinen Menſchen einlaſſen, die Zwerge haben mirs bei Leibe verboten.“ „Nun, wenn Ihr nicht wollt, ſagte die Baͤuerin, kann ich euch nicht zwingen, meine Aepfel will ich ſchon los werden, da, einen will ich euch zur Probe ſchenken.“ — „Nein, ich darf auch nichts geſchenkt nehmen, die Zwerge wollens nicht haben.“ — „Ihr moͤgt Euch wohl fuͤrch- ten, da will ich den Apfel entzwei ſchneiden und die Haͤlfte eſſen, da den ſchoͤnen rothen Backen ſollt Ihr haben;“ der Apfel war aber ſo kuͤnſtlich gemacht, daß nur die rothe Haͤlfte vergiftet war. Da ſah Sneewittchen, daß die Baͤuerin ſelber davon aß, und ſein Geluͤſten darnach ward immer groͤßer, da ließ es ſich end- lich die andere Haͤlfte durchs Fenſter reichen, und biß hinein, kaum aber hatte es einen Biſ- ſen im Mund, ſo fiel es todt zur Erde. Die Koͤnigin aber freute ſich, ging nach Haus und fragte den Spiegel:

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/280>, abgerufen am 22.11.2024.