Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

ward es davon überwältigt und öffnete auch die
dreizehnte. Und wie die Thüre aufging, sah es
in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit sitzen und
rührte ein klein wenig mit dem Finger an den
Glanz, da ward er ganz golden, dann aber
schlug es geschwind die Thüre zu und lief fort;
sein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder
aufhören. Nach wenigen Tagen aber kam die
Jungfrau Maria von ihrer Reise zurück und
forderte die Himmelsschlüssel von dem Mädchen,
und wie es sie reichte, sah sie es an und sagte:
"hast du auch nicht die dreizehnte Thüre geöff-
net?" -- "Nein," antwortete es. Da legte
sie ihre Hand auf sein Herz, das klopfte und
klopfte, da sah sie, daß es ihr Gebot übertre-
ten und die Thüre aufgeschlossen hatte: "hast
du es gewiß nicht gethan?" "Nein," sagte
das Mädchen noch einmal. Da sah sie den gol-
denen Finger, womit es das himmlische Feuer
angerührt hatte, und wußte nun gewiß, daß es
schuldig war und sprach: "du hast mir nicht
gehorcht und hast gelogen, du bist nicht mehr
würdig im Himmel zu seyn."

Da versank das Mädchen in einen tiefen,
tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf
der Erde und lag unter einem hohen Baum,
der war rings mit dichten Gebüschen umzäunt,
so daß es ganz eingeschlossen war, der Mund
war ihm auch verschlossen und es konnte kein

ward es davon uͤberwaͤltigt und oͤffnete auch die
dreizehnte. Und wie die Thuͤre aufging, ſah es
in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit ſitzen und
ruͤhrte ein klein wenig mit dem Finger an den
Glanz, da ward er ganz golden, dann aber
ſchlug es geſchwind die Thuͤre zu und lief fort;
ſein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder
aufhoͤren. Nach wenigen Tagen aber kam die
Jungfrau Maria von ihrer Reiſe zuruͤck und
forderte die Himmelsſchluͤſſel von dem Maͤdchen,
und wie es ſie reichte, ſah ſie es an und ſagte:
„haſt du auch nicht die dreizehnte Thuͤre geoͤff-
net?“ — „Nein,“ antwortete es. Da legte
ſie ihre Hand auf ſein Herz, das klopfte und
klopfte, da ſah ſie, daß es ihr Gebot uͤbertre-
ten und die Thuͤre aufgeſchloſſen hatte: „haſt
du es gewiß nicht gethan?“ „Nein,“ ſagte
das Maͤdchen noch einmal. Da ſah ſie den gol-
denen Finger, womit es das himmliſche Feuer
angeruͤhrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es
ſchuldig war und ſprach: „du haſt mir nicht
gehorcht und haſt gelogen, du biſt nicht mehr
wuͤrdig im Himmel zu ſeyn.“

Da verſank das Maͤdchen in einen tiefen,
tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf
der Erde und lag unter einem hohen Baum,
der war rings mit dichten Gebuͤſchen umzaͤunt,
ſo daß es ganz eingeſchloſſen war, der Mund
war ihm auch verſchloſſen und es konnte kein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="10"/>
ward es davon u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt und o&#x0364;ffnete auch die<lb/>
dreizehnte. Und wie die Thu&#x0364;re aufging, &#x017F;ah es<lb/>
in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit &#x017F;itzen und<lb/>
ru&#x0364;hrte ein klein wenig mit dem Finger an den<lb/>
Glanz, da ward er ganz golden, dann aber<lb/>
&#x017F;chlug es ge&#x017F;chwind die Thu&#x0364;re zu und lief fort;<lb/>
&#x017F;ein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder<lb/>
aufho&#x0364;ren. Nach wenigen Tagen aber kam die<lb/>
Jungfrau Maria von ihrer Rei&#x017F;e zuru&#x0364;ck und<lb/>
forderte die Himmels&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el von dem Ma&#x0364;dchen,<lb/>
und wie es &#x017F;ie reichte, &#x017F;ah &#x017F;ie es an und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;ha&#x017F;t du auch nicht die dreizehnte Thu&#x0364;re geo&#x0364;ff-<lb/>
net?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nein,&#x201C; antwortete es. Da legte<lb/>
&#x017F;ie ihre Hand auf &#x017F;ein Herz, das klopfte und<lb/>
klopfte, da &#x017F;ah &#x017F;ie, daß es ihr Gebot u&#x0364;bertre-<lb/>
ten und die Thu&#x0364;re aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte: &#x201E;ha&#x017F;t<lb/>
du es gewiß nicht gethan?&#x201C; &#x201E;Nein,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
das Ma&#x0364;dchen noch einmal. Da &#x017F;ah &#x017F;ie den gol-<lb/>
denen Finger, womit es das himmli&#x017F;che Feuer<lb/>
angeru&#x0364;hrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es<lb/>
&#x017F;chuldig war und &#x017F;prach: &#x201E;du ha&#x017F;t mir nicht<lb/>
gehorcht und ha&#x017F;t gelogen, du bi&#x017F;t nicht mehr<lb/>
wu&#x0364;rdig im Himmel zu &#x017F;eyn.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Da ver&#x017F;ank das Ma&#x0364;dchen in einen tiefen,<lb/>
tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf<lb/>
der Erde und lag unter einem hohen Baum,<lb/>
der war rings mit dichten Gebu&#x0364;&#x017F;chen umza&#x0364;unt,<lb/>
&#x017F;o daß es ganz einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war, der Mund<lb/>
war ihm auch ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und es konnte kein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0044] ward es davon uͤberwaͤltigt und oͤffnete auch die dreizehnte. Und wie die Thuͤre aufging, ſah es in Feuer und Glanz die Dreieinigkeit ſitzen und ruͤhrte ein klein wenig mit dem Finger an den Glanz, da ward er ganz golden, dann aber ſchlug es geſchwind die Thuͤre zu und lief fort; ſein Herz klopfte und wollte gar nicht wieder aufhoͤren. Nach wenigen Tagen aber kam die Jungfrau Maria von ihrer Reiſe zuruͤck und forderte die Himmelsſchluͤſſel von dem Maͤdchen, und wie es ſie reichte, ſah ſie es an und ſagte: „haſt du auch nicht die dreizehnte Thuͤre geoͤff- net?“ — „Nein,“ antwortete es. Da legte ſie ihre Hand auf ſein Herz, das klopfte und klopfte, da ſah ſie, daß es ihr Gebot uͤbertre- ten und die Thuͤre aufgeſchloſſen hatte: „haſt du es gewiß nicht gethan?“ „Nein,“ ſagte das Maͤdchen noch einmal. Da ſah ſie den gol- denen Finger, womit es das himmliſche Feuer angeruͤhrt hatte, und wußte nun gewiß, daß es ſchuldig war und ſprach: „du haſt mir nicht gehorcht und haſt gelogen, du biſt nicht mehr wuͤrdig im Himmel zu ſeyn.“ Da verſank das Maͤdchen in einen tiefen, tiefen Schlaf, und als es erwachte, war es auf der Erde und lag unter einem hohen Baum, der war rings mit dichten Gebuͤſchen umzaͤunt, ſo daß es ganz eingeſchloſſen war, der Mund war ihm auch verſchloſſen und es konnte kein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/44
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/44>, abgerufen am 24.11.2024.