die weiße, sondern die rothe Blutfahne, die ih- nen den Untergang drohte. Wie die Buben sie erblickten, wurden sie alle zornig und riefen: "sollen wir eines Mädchens willen das Leben verlieren!" da schwuren sie zusammen, mitten in dem Wald zu bleiben, und aufzupassen, wenn sich ein Mädchen sehen ließ, wollten sie es ohne Gnade tödten.
Darauf suchten sie eine Höhle, wo der Wald am dunkelsten war, wo sie wohnten. Alle Morgen zogen elf hinaus auf die Jagd, einer mußte aber zu Haus bleiben, kochen, und den Haushalt führen. Jedes Mädchen aber, das den eilfen begegnete, war ohne Barmherzigkeit verloren; das dauerte viele Jahre.
Das Schwesterchen zu Haus aber ward groß und blieb das einzige Kind. Einmal hat- te es große Wäsche, darunter waren auch zwölf Mannshemden. "Für wen sind denn diese Hemder, fragte die Prinzessin, meinem Vater sind sie doch viel zu klein," da erzählte ihr die Wäscherin, daß sie zwölf Brüder gehabt hätte, die wären heimlich fortgegangen, kein Mensch wisse wohin, weil sie der König habe wollen tödten lassen, und diesen zwölf Brüdern gehör- ten diese zwölf Hemder. Das Schwesterchen verwunderte sich, daß ihm niemals von seinen zwölf Brüdern etwas zu Ohren gekommen und wie es Nachmittags auf der Wiese saß und die
die weiße, ſondern die rothe Blutfahne, die ih- nen den Untergang drohte. Wie die Buben ſie erblickten, wurden ſie alle zornig und riefen: „ſollen wir eines Maͤdchens willen das Leben verlieren!“ da ſchwuren ſie zuſammen, mitten in dem Wald zu bleiben, und aufzupaſſen, wenn ſich ein Maͤdchen ſehen ließ, wollten ſie es ohne Gnade toͤdten.
Darauf ſuchten ſie eine Hoͤhle, wo der Wald am dunkelſten war, wo ſie wohnten. Alle Morgen zogen elf hinaus auf die Jagd, einer mußte aber zu Haus bleiben, kochen, und den Haushalt fuͤhren. Jedes Maͤdchen aber, das den eilfen begegnete, war ohne Barmherzigkeit verloren; das dauerte viele Jahre.
Das Schweſterchen zu Haus aber ward groß und blieb das einzige Kind. Einmal hat- te es große Waͤſche, darunter waren auch zwoͤlf Mannshemden. „Fuͤr wen ſind denn dieſe Hemder, fragte die Prinzeſſin, meinem Vater ſind ſie doch viel zu klein,“ da erzaͤhlte ihr die Waͤſcherin, daß ſie zwoͤlf Bruͤder gehabt haͤtte, die waͤren heimlich fortgegangen, kein Menſch wiſſe wohin, weil ſie der Koͤnig habe wollen toͤdten laſſen, und dieſen zwoͤlf Bruͤdern gehoͤr- ten dieſe zwoͤlf Hemder. Das Schweſterchen verwunderte ſich, daß ihm niemals von ſeinen zwoͤlf Bruͤdern etwas zu Ohren gekommen und wie es Nachmittags auf der Wieſe ſaß und die
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die weiße, ſondern die rothe Blutfahne, die ih-
nen den Untergang drohte. Wie die Buben
ſie erblickten, wurden ſie alle zornig und riefen:
„ſollen wir eines Maͤdchens willen das Leben
verlieren!“ da ſchwuren ſie zuſammen, mitten
in dem Wald zu bleiben, und aufzupaſſen, wenn
ſich ein Maͤdchen ſehen ließ, wollten ſie es ohne
Gnade toͤdten.
Darauf ſuchten ſie eine Hoͤhle, wo der
Wald am dunkelſten war, wo ſie wohnten. Alle
Morgen zogen elf hinaus auf die Jagd, einer
mußte aber zu Haus bleiben, kochen, und den
Haushalt fuͤhren. Jedes Maͤdchen aber, das
den eilfen begegnete, war ohne Barmherzigkeit
verloren; das dauerte viele Jahre.
Das Schweſterchen zu Haus aber ward
groß und blieb das einzige Kind. Einmal hat-
te es große Waͤſche, darunter waren auch zwoͤlf
Mannshemden. „Fuͤr wen ſind denn dieſe
Hemder, fragte die Prinzeſſin, meinem Vater
ſind ſie doch viel zu klein,“ da erzaͤhlte ihr die
Waͤſcherin, daß ſie zwoͤlf Bruͤder gehabt haͤtte,
die waͤren heimlich fortgegangen, kein Menſch
wiſſe wohin, weil ſie der Koͤnig habe wollen
toͤdten laſſen, und dieſen zwoͤlf Bruͤdern gehoͤr-
ten dieſe zwoͤlf Hemder. Das Schweſterchen
verwunderte ſich, daß ihm niemals von ſeinen
zwoͤlf Bruͤdern etwas zu Ohren gekommen und
wie es Nachmittags auf der Wieſe ſaß und die
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/60>, abgerufen am 21.11.2024.
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