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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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still und guckte nach dem Haus zurück, bald
darauf wieder und immer wieder. Der Vater
sprach: "Hänsel, was guckst du zurück und
hältst dich auf, hab Acht und marschir zu." --
"Ach, Vater, ich seh nach meinem weißen Kätz-
chen, das sitzt oben auf dem Dach und will
mir Ade sagen." Die Mutter sprach: "ei
Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die
Morgensonne, die auf den Schornstein scheint."
Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gese-
hen, sondern immer einen von den blanken Kiesel-
steinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.

Wie sie mitten in den Wald gekommen
waren, sprach der Vater, "nun sammelt Holz,
ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß
wir nicht frieren." Hänsel und Gretel trugen
Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Da
steckten sie es an, und wie die Flamme recht groß
brannte, sagte die Mutter: "nun legt euch ans
Feuer und schlaft, wir wollen in dem Wald das
Holz fällen, wartet, bis wir wieder kommen,
und euch abholen."

Hänsel und Gretel saßen an dem Feuer,
bis Mittag, da aß jedes sein Stücklein Brod,
und dann wieder bis an den Abend; aber Va-
ter und Mutter blieben aus, und niemand woll-
te kommen und sie abholen. Wie es nun fin-
stere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen,
Hänsel aber sprach: "wart nur ein Weilchen,

D 2

ſtill und guckte nach dem Haus zuruͤck, bald
darauf wieder und immer wieder. Der Vater
ſprach: „Haͤnſel, was guckſt du zuruͤck und
haͤltſt dich auf, hab Acht und marſchir zu.“ —
„Ach, Vater, ich ſeh nach meinem weißen Kaͤtz-
chen, das ſitzt oben auf dem Dach und will
mir Ade ſagen.“ Die Mutter ſprach: „ei
Narr, das iſt dein Kaͤtzchen nicht, das iſt die
Morgenſonne, die auf den Schornſtein ſcheint.“
Haͤnſel aber hatte nicht nach dem Kaͤtzchen geſe-
hen, ſondern immer einen von den blanken Kieſel-
ſteinen aus ſeiner Taſche auf den Weg geworfen.

Wie ſie mitten in den Wald gekommen
waren, ſprach der Vater, „nun ſammelt Holz,
ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß
wir nicht frieren.“ Haͤnſel und Gretel trugen
Reiſig zuſammen, einen kleinen Berg hoch. Da
ſteckten ſie es an, und wie die Flamme recht groß
brannte, ſagte die Mutter: „nun legt euch ans
Feuer und ſchlaft, wir wollen in dem Wald das
Holz faͤllen, wartet, bis wir wieder kommen,
und euch abholen.

Haͤnſel und Gretel ſaßen an dem Feuer,
bis Mittag, da aß jedes ſein Stuͤcklein Brod,
und dann wieder bis an den Abend; aber Va-
ter und Mutter blieben aus, und niemand woll-
te kommen und ſie abholen. Wie es nun fin-
ſtere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen,
Haͤnſel aber ſprach: „wart nur ein Weilchen,

D 2
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[51/0085] ſtill und guckte nach dem Haus zuruͤck, bald darauf wieder und immer wieder. Der Vater ſprach: „Haͤnſel, was guckſt du zuruͤck und haͤltſt dich auf, hab Acht und marſchir zu.“ — „Ach, Vater, ich ſeh nach meinem weißen Kaͤtz- chen, das ſitzt oben auf dem Dach und will mir Ade ſagen.“ Die Mutter ſprach: „ei Narr, das iſt dein Kaͤtzchen nicht, das iſt die Morgenſonne, die auf den Schornſtein ſcheint.“ Haͤnſel aber hatte nicht nach dem Kaͤtzchen geſe- hen, ſondern immer einen von den blanken Kieſel- ſteinen aus ſeiner Taſche auf den Weg geworfen. Wie ſie mitten in den Wald gekommen waren, ſprach der Vater, „nun ſammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, daß wir nicht frieren.“ Haͤnſel und Gretel trugen Reiſig zuſammen, einen kleinen Berg hoch. Da ſteckten ſie es an, und wie die Flamme recht groß brannte, ſagte die Mutter: „nun legt euch ans Feuer und ſchlaft, wir wollen in dem Wald das Holz faͤllen, wartet, bis wir wieder kommen, und euch abholen.“ Haͤnſel und Gretel ſaßen an dem Feuer, bis Mittag, da aß jedes ſein Stuͤcklein Brod, und dann wieder bis an den Abend; aber Va- ter und Mutter blieben aus, und niemand woll- te kommen und ſie abholen. Wie es nun fin- ſtere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen, Haͤnſel aber ſprach: „wart nur ein Weilchen, D 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/85>, abgerufen am 21.11.2024.