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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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mitten drin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie: "hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehen und Essen holen." Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen und was zu essen stand; das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Töchterchen, das ihre Mutter Königin geboren, war nun herangewachsen, war gar schön und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemden und fragte seine Mutter: "wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?" Da antwortete sie mit schwerem Herzen: "liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern." Sprach das Fräulein: "wo sind den meine zwölf Brüder, von denen habe ich noch niemals gehört." Sie antwortete: "daß weiß Gott, wo sie sind, sie irren in der Welt herum." Da nahm sie das Mädchen und schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Todtenkißchen. "Die sprach sie, waren für sie bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst" und erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Mädchen: "liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen."

Nun nahm es die zwölf Hemden und ging fort, und geradezu

mitten drin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwuͤnschtes Haͤuschen, das leer stand. Da sprachen sie: „hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der juͤngste und schwaͤchste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehen und Essen holen.“ Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Voͤgel und Taͤuberchen und was zu essen stand; das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Haͤuschen lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Toͤchterchen, das ihre Mutter Koͤnigin geboren, war nun herangewachsen, war gar schoͤn und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Waͤsche war, sah es darunter zwoͤlf Mannshemden und fragte seine Mutter: „wem gehoͤren diese zwoͤlf Hemden, fuͤr den Vater sind sie doch viel zu klein?“ Da antwortete sie mit schwerem Herzen: „liebes Kind, die gehoͤren deinen zwoͤlf Bruͤdern.“ Sprach das Fraͤulein: „wo sind den meine zwoͤlf Bruͤder, von denen habe ich noch niemals gehoͤrt.“ Sie antwortete: „daß weiß Gott, wo sie sind, sie irren in der Welt herum.“ Da nahm sie das Maͤdchen und schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwoͤlf Saͤrge mit den Hobelspaͤnen und den Todtenkißchen. „Die sprach sie, waren fuͤr sie bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst“ und erzaͤhlte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Maͤdchen: „liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Bruͤder suchen.“

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[50/0114] mitten drin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwuͤnschtes Haͤuschen, das leer stand. Da sprachen sie: „hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der juͤngste und schwaͤchste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehen und Essen holen.“ Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Voͤgel und Taͤuberchen und was zu essen stand; das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Jn dem Haͤuschen lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang. Das Toͤchterchen, das ihre Mutter Koͤnigin geboren, war nun herangewachsen, war gar schoͤn und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Waͤsche war, sah es darunter zwoͤlf Mannshemden und fragte seine Mutter: „wem gehoͤren diese zwoͤlf Hemden, fuͤr den Vater sind sie doch viel zu klein?“ Da antwortete sie mit schwerem Herzen: „liebes Kind, die gehoͤren deinen zwoͤlf Bruͤdern.“ Sprach das Fraͤulein: „wo sind den meine zwoͤlf Bruͤder, von denen habe ich noch niemals gehoͤrt.“ Sie antwortete: „daß weiß Gott, wo sie sind, sie irren in der Welt herum.“ Da nahm sie das Maͤdchen und schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwoͤlf Saͤrge mit den Hobelspaͤnen und den Todtenkißchen. „Die sprach sie, waren fuͤr sie bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst“ und erzaͤhlte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Maͤdchen: „liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Bruͤder suchen.“ Nun nahm es die zwoͤlf Hemden und ging fort, und geradezu

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/114>, abgerufen am 24.11.2024.