Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.aber bekam nichts, als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: "Hänsel, streck deine Finger heraus, daß ich fühle, ob du bald fett genug bist." Hänsel streckte ihr aber immer ein Knöchlein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar nicht zunehmen wolle. Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Grethel: "sey flink, geh und trag Wasser herbei, dein Brüderchen mag nun fett seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will derweile den Teig anmachen, daß wir auch dazu backen können." Da ging Grethel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Hänsel sollte gesotten werden. Früh Morgens mußte Grethel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhängen. "Gieb nun Acht, sagte die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinschieben;" Grethel stand in der Küche und weinte blutige Thränen, und dachte, hätten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefressen, so wären wir zusammen gestorben und müßten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich müßte nicht selber das Wasser zu dem Tod meines lieben Bruders sieden: "du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Noth!" Da rief die Alte: "Grethel, komm gleich hierher zu dem Backofen," wie Grethel kam, sagte sie: "guck hinein, ob das Brot schon hübsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen." Wenn aber Grethel darin aber bekam nichts, als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „Haͤnsel, streck deine Finger heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug bist.“ Haͤnsel streckte ihr aber immer ein Knoͤchlein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar nicht zunehmen wolle. Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Grethel: „sey flink, geh und trag Wasser herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will derweile den Teig anmachen, daß wir auch dazu backen koͤnnen.“ Da ging Grethel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Haͤnsel sollte gesotten werden. Fruͤh Morgens mußte Grethel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, sagte die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinschieben;“ Grethel stand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤnen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefressen, so waͤren wir zusammen gestorben und muͤßten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich muͤßte nicht selber das Wasser zu dem Tod meines lieben Bruders sieden: „du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Noth!“ Da rief die Alte: „Grethel, komm gleich hierher zu dem Backofen,“ wie Grethel kam, sagte sie: „guck hinein, ob das Brot schon huͤbsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen.“ Wenn aber Grethel darin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0150" n="86"/> aber bekam nichts, als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „Haͤnsel, streck deine Finger heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug bist.“ Haͤnsel streckte ihr aber immer ein Knoͤchlein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar nicht zunehmen wolle.</p><lb/> <p>Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Grethel: „sey flink, geh und trag Wasser herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will derweile den Teig anmachen, daß wir auch dazu backen koͤnnen.“ Da ging Grethel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Haͤnsel sollte gesotten werden. Fruͤh Morgens mußte Grethel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, sagte die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinschieben;“ Grethel stand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤnen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefressen, so waͤren wir zusammen gestorben und muͤßten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich muͤßte nicht selber das Wasser zu dem Tod meines lieben Bruders sieden: „du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Noth!“</p><lb/> <p>Da rief die Alte: „Grethel, komm gleich hierher zu dem Backofen,“ wie Grethel kam, sagte sie: „guck hinein, ob das Brot schon huͤbsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen.“ Wenn aber Grethel darin </p> </div> </body> </text> </TEI> [86/0150]
aber bekam nichts, als die Krebsschalen, und alle Tage kam die Alte und sagte: „Haͤnsel, streck deine Finger heraus, daß ich fuͤhle, ob du bald fett genug bist.“ Haͤnsel streckte ihr aber immer ein Knoͤchlein heraus, da verwunderte sie sich, daß er gar nicht zunehmen wolle.
Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Grethel: „sey flink, geh und trag Wasser herbei, dein Bruͤderchen mag nun fett seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will derweile den Teig anmachen, daß wir auch dazu backen koͤnnen.“ Da ging Grethel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Haͤnsel sollte gesotten werden. Fruͤh Morgens mußte Grethel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhaͤngen. „Gieb nun Acht, sagte die Hexe, ich will Feuer in den Backofen machen und das Brod hineinschieben;“ Grethel stand in der Kuͤche und weinte blutige Thraͤnen, und dachte, haͤtten uns lieber die wilden Thiere im Walde gefressen, so waͤren wir zusammen gestorben und muͤßten nun nicht das Herzeleid tragen, und ich muͤßte nicht selber das Wasser zu dem Tod meines lieben Bruders sieden: „du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Noth!“
Da rief die Alte: „Grethel, komm gleich hierher zu dem Backofen,“ wie Grethel kam, sagte sie: „guck hinein, ob das Brot schon huͤbsch braun und gar ist, meine Augen sind schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen.“ Wenn aber Grethel darin
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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