Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.gutem Herzen. Der König hieß sie von verschiedenen Seiten in den Wald gehen und ihr Heil versuchen; da ging der jüngste von Morgen aus, der älteste von Abend. Als der jüngste hinein gekommen war, trat ein kleines Männlein zu ihm, das hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sprach: "siehst du, mit dieser Lanze kannst du ohne Furcht auf das Wildschwein eingehen und es tödten; die geb ich dir, weil dein Herz gut ist." Nun nahm er den Spieß, dankte dem Männlein und ging getrost weiter. Bald sah er das Thier wüthend heran rennen, aber er hielt den Spieß vor und es rennte sich in seiner blinden Wuth so gewaltig hinein, daß es sich selbst das Herz durchschnitt. Da nahm er seinen Fang auf die Schulter, ging vergnügt heimwärts und wollte ihn dem Könige bringen. Der andere Bruder hatte auf seinem Weg ein Haus gefunden, wo sich die Menschen mit Tanz und Wein lustig machten und war da eingegangen. "Das Wildschwein, dachte er, lauft dir doch nicht fort, du willst dir hier erst ein Herz trinken. Der jüngste kam nun bei seinem Heimweg daran vorbei und als ihn der älteste sah, mit der Beute beladen, ward er neidisch und sann darauf ihm zu schaden. Da rief er: "komm doch herein, lieber Bruder, und ruh dich ein wenig aus und trink einen Becher Wein zur Stärkung." Der jüngste, der in seiner Unschuld an nichts böses dachte, ging hinein und erzählte ihm, wie es zugegangen war und daß er mit einer schwarzen Lanze das Schwein getödtet hätte. Nun hielt ihn der älteste zurück bis gegen Abend, wo sie zusammen sich aufmachten. Als sie aber in der Dunkelheit gutem Herzen. Der Koͤnig hieß sie von verschiedenen Seiten in den Wald gehen und ihr Heil versuchen; da ging der juͤngste von Morgen aus, der aͤlteste von Abend. Als der juͤngste hinein gekommen war, trat ein kleines Maͤnnlein zu ihm, das hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sprach: „siehst du, mit dieser Lanze kannst du ohne Furcht auf das Wildschwein eingehen und es toͤdten; die geb ich dir, weil dein Herz gut ist.“ Nun nahm er den Spieß, dankte dem Maͤnnlein und ging getrost weiter. Bald sah er das Thier wuͤthend heran rennen, aber er hielt den Spieß vor und es rennte sich in seiner blinden Wuth so gewaltig hinein, daß es sich selbst das Herz durchschnitt. Da nahm er seinen Fang auf die Schulter, ging vergnuͤgt heimwaͤrts und wollte ihn dem Koͤnige bringen. Der andere Bruder hatte auf seinem Weg ein Haus gefunden, wo sich die Menschen mit Tanz und Wein lustig machten und war da eingegangen. „Das Wildschwein, dachte er, lauft dir doch nicht fort, du willst dir hier erst ein Herz trinken. Der juͤngste kam nun bei seinem Heimweg daran vorbei und als ihn der aͤlteste sah, mit der Beute beladen, ward er neidisch und sann darauf ihm zu schaden. Da rief er: „komm doch herein, lieber Bruder, und ruh dich ein wenig aus und trink einen Becher Wein zur Staͤrkung.“ Der juͤngste, der in seiner Unschuld an nichts boͤses dachte, ging hinein und erzaͤhlte ihm, wie es zugegangen war und daß er mit einer schwarzen Lanze das Schwein getoͤdtet haͤtte. Nun hielt ihn der aͤlteste zuruͤck bis gegen Abend, wo sie zusammen sich aufmachten. Als sie aber in der Dunkelheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="146"/> gutem Herzen. Der Koͤnig hieß sie von verschiedenen Seiten in den Wald gehen und ihr Heil versuchen; da ging der juͤngste von Morgen aus, der aͤlteste von Abend. Als der juͤngste hinein gekommen war, trat ein kleines Maͤnnlein zu ihm, das hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sprach: „siehst du, mit dieser Lanze kannst du ohne Furcht auf das Wildschwein eingehen und es toͤdten; die geb ich dir, weil dein Herz gut ist.“ Nun nahm er den Spieß, dankte dem Maͤnnlein und ging getrost weiter. Bald sah er das Thier wuͤthend heran rennen, aber er hielt den Spieß vor und es rennte sich in seiner blinden Wuth so gewaltig hinein, daß es sich selbst das Herz durchschnitt. Da nahm er seinen Fang auf die Schulter, ging vergnuͤgt heimwaͤrts und wollte ihn dem Koͤnige bringen.</p><lb/> <p>Der andere Bruder hatte auf seinem Weg ein Haus gefunden, wo sich die Menschen mit Tanz und Wein lustig machten und war da eingegangen. „Das Wildschwein, dachte er, lauft dir doch nicht fort, du willst dir hier erst ein Herz trinken. Der juͤngste kam nun bei seinem Heimweg daran vorbei und als ihn der aͤlteste sah, mit der Beute beladen, ward er neidisch und sann darauf ihm zu schaden. Da rief er: „komm doch herein, lieber Bruder, und ruh dich ein wenig aus und trink einen Becher Wein zur Staͤrkung.“ Der juͤngste, der in seiner Unschuld an nichts boͤses dachte, ging hinein und erzaͤhlte ihm, wie es zugegangen war und daß er mit einer schwarzen Lanze das Schwein getoͤdtet haͤtte. Nun hielt ihn der aͤlteste zuruͤck bis gegen Abend, wo sie zusammen sich aufmachten. Als sie aber in der Dunkelheit </p> </div> </body> </text> </TEI> [146/0210]
gutem Herzen. Der Koͤnig hieß sie von verschiedenen Seiten in den Wald gehen und ihr Heil versuchen; da ging der juͤngste von Morgen aus, der aͤlteste von Abend. Als der juͤngste hinein gekommen war, trat ein kleines Maͤnnlein zu ihm, das hielt eine schwarze Lanze in der Hand und sprach: „siehst du, mit dieser Lanze kannst du ohne Furcht auf das Wildschwein eingehen und es toͤdten; die geb ich dir, weil dein Herz gut ist.“ Nun nahm er den Spieß, dankte dem Maͤnnlein und ging getrost weiter. Bald sah er das Thier wuͤthend heran rennen, aber er hielt den Spieß vor und es rennte sich in seiner blinden Wuth so gewaltig hinein, daß es sich selbst das Herz durchschnitt. Da nahm er seinen Fang auf die Schulter, ging vergnuͤgt heimwaͤrts und wollte ihn dem Koͤnige bringen.
Der andere Bruder hatte auf seinem Weg ein Haus gefunden, wo sich die Menschen mit Tanz und Wein lustig machten und war da eingegangen. „Das Wildschwein, dachte er, lauft dir doch nicht fort, du willst dir hier erst ein Herz trinken. Der juͤngste kam nun bei seinem Heimweg daran vorbei und als ihn der aͤlteste sah, mit der Beute beladen, ward er neidisch und sann darauf ihm zu schaden. Da rief er: „komm doch herein, lieber Bruder, und ruh dich ein wenig aus und trink einen Becher Wein zur Staͤrkung.“ Der juͤngste, der in seiner Unschuld an nichts boͤses dachte, ging hinein und erzaͤhlte ihm, wie es zugegangen war und daß er mit einer schwarzen Lanze das Schwein getoͤdtet haͤtte. Nun hielt ihn der aͤlteste zuruͤck bis gegen Abend, wo sie zusammen sich aufmachten. Als sie aber in der Dunkelheit
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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