Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fühlt, daß eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen seyn mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest an den Kern sich schließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersächsischem und hochdeutschem ist. Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlung von Märchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufällig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen, rohen Stoff, um größere Erzählungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklären wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefühl für eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Ueberlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes wäre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthümlichkeit, jeder Mund anders erzählt. Aber es ist doch ein großer Unterschied, zwischen Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest an den Kern sich schließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist. Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlung von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen, rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Ueberlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes waͤre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthuͤmlichkeit, jeder Mund anders erzaͤhlt. Aber es ist doch ein großer Unterschied, zwischen <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0025" n="XVII"/> Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest an den Kern sich schließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist.</p><lb/> <p>Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlung von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen, rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Ueberlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes waͤre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthuͤmlichkeit, jeder Mund anders erzaͤhlt. Aber es ist doch ein großer Unterschied, zwischen </p> </div> </front> </text> </TEI> [XVII/0025]
Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit, und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fuͤhlt, daß eine gelaͤuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem uͤbrigen seyn mag, heller und durchsichtiger, aber auch schmackloser geworden, und nicht mehr so fest an den Kern sich schließe. Schade, daß die niederhessische Mundart in der Naͤhe von Cassel, als in den Graͤnzpunkten des alten saͤchsischen und fraͤnkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von niedersaͤchsischem und hochdeutschem ist.
Jn diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine Sammlung von Maͤrchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufaͤllig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie als bloßen, rohen Stoff, um groͤßere Erzaͤhlungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklaͤren wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, daß in allem lebendigen Gefuͤhl fuͤr eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Ueberlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes waͤre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthuͤmlichkeit, jeder Mund anders erzaͤhlt. Aber es ist doch ein großer Unterschied, zwischen
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.
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