Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

machst du da?" "Jch spinne" sagte die Alte und nickte mit dem Kopf." "Wie das Ding herumspringt!" sprach das Fräulein und nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angerührt, so ging die Verwünschung des Zauberweibes in Erfüllung und sie stach sich damit.

Jn dem Augenblick aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und der König und die Königin, die eben zurückgekommen waren, fingen an mit dem ganzen Hofstaat einzuschlafen. Da schliefen auch die Pferde im Stall ein, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward still und schlief ein und der Braten hörte auf zu brutzeln und der Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief und alles was lebendigen Othem hat, ward still und schlief.

Um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward und endlich das ganze Schloß so umzog und drüber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst nicht die Fahnen auf den Dächern, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen, schlafenden Dornröschen, denn so wurde die Königstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen hielten sich gleichsam wie an Händen zusammen und sie blieben darin hängen und starben jämmerlich. Nach langen, langen Jahren kam wieder ein Königssohn durch das Land, dem erzählte

machst du da?“ „Jch spinne“ sagte die Alte und nickte mit dem Kopf.“ „Wie das Ding herumspringt!“ sprach das Fraͤulein und nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angeruͤhrt, so ging die Verwuͤnschung des Zauberweibes in Erfuͤllung und sie stach sich damit.

Jn dem Augenblick aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und der Koͤnig und die Koͤnigin, die eben zuruͤckgekommen waren, fingen an mit dem ganzen Hofstaat einzuschlafen. Da schliefen auch die Pferde im Stall ein, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward still und schlief ein und der Braten hoͤrte auf zu brutzeln und der Koch, der den Kuͤchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief und alles was lebendigen Othem hat, ward still und schlief.

Um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr hoͤher ward und endlich das ganze Schloß so umzog und druͤber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst nicht die Fahnen auf den Daͤchern, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schoͤnen, schlafenden Dornroͤschen, denn so wurde die Koͤnigstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Koͤnigssoͤhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht moͤglich, denn die Dornen hielten sich gleichsam wie an Haͤnden zusammen und sie blieben darin haͤngen und starben jaͤmmerlich. Nach langen, langen Jahren kam wieder ein Koͤnigssohn durch das Land, dem erzaͤhlte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="251"/>
machst du da?&#x201C; &#x201E;Jch spinne&#x201C; sagte die Alte und nickte mit dem Kopf.&#x201C; &#x201E;Wie das Ding herumspringt!&#x201C; sprach das Fra&#x0364;ulein und nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angeru&#x0364;hrt, so ging die Verwu&#x0364;nschung des Zauberweibes in Erfu&#x0364;llung und sie stach sich damit.</p><lb/>
        <p>Jn dem Augenblick aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und der Ko&#x0364;nig und die Ko&#x0364;nigin, die eben zuru&#x0364;ckgekommen waren, fingen an mit dem ganzen Hofstaat einzuschlafen. Da schliefen auch die Pferde im Stall ein, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward still und schlief ein und der Braten ho&#x0364;rte auf zu brutzeln und der Koch, der den Ku&#x0364;chenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief und alles was lebendigen Othem hat, ward still und schlief.</p><lb/>
        <p>Um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr ho&#x0364;her ward und endlich das ganze Schloß so umzog und dru&#x0364;ber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst nicht die Fahnen auf den Da&#x0364;chern, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem scho&#x0364;nen, schlafenden Dornro&#x0364;schen, denn so wurde die Ko&#x0364;nigstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Ko&#x0364;nigsso&#x0364;hne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht mo&#x0364;glich, denn die Dornen hielten sich gleichsam wie an Ha&#x0364;nden zusammen und sie blieben darin ha&#x0364;ngen und starben ja&#x0364;mmerlich. Nach langen, langen Jahren kam wieder ein Ko&#x0364;nigssohn durch das Land, dem erza&#x0364;hlte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0315] machst du da?“ „Jch spinne“ sagte die Alte und nickte mit dem Kopf.“ „Wie das Ding herumspringt!“ sprach das Fraͤulein und nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie die Spindel angeruͤhrt, so ging die Verwuͤnschung des Zauberweibes in Erfuͤllung und sie stach sich damit. Jn dem Augenblick aber, wo sie sich gestochen hatte, fiel sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und der Koͤnig und die Koͤnigin, die eben zuruͤckgekommen waren, fingen an mit dem ganzen Hofstaat einzuschlafen. Da schliefen auch die Pferde im Stall ein, die Hunde im Hof, die Tauben auf dem Dach, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward still und schlief ein und der Braten hoͤrte auf zu brutzeln und der Koch, der den Kuͤchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, ließ ihn los und schlief und alles was lebendigen Othem hat, ward still und schlief. Um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr hoͤher ward und endlich das ganze Schloß so umzog und druͤber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst nicht die Fahnen auf den Daͤchern, zu sehen war. Es ging aber die Sage in dem Land von dem schoͤnen, schlafenden Dornroͤschen, denn so wurde die Koͤnigstochter genannt, also daß von Zeit zu Zeit Koͤnigssoͤhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten. Es war ihnen aber nicht moͤglich, denn die Dornen hielten sich gleichsam wie an Haͤnden zusammen und sie blieben darin haͤngen und starben jaͤmmerlich. Nach langen, langen Jahren kam wieder ein Koͤnigssohn durch das Land, dem erzaͤhlte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/315
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/315>, abgerufen am 24.11.2024.