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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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55.
Rumpelstilzchen.

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam und zu ihm sagte: "ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen." Dem König, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl und er befahl, die Müllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden. Dann führte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach: "wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben." Darauf ward die Kammer verschlossen und sie blieb allein darin.

Da saß nun die arme Müllerstochter und wußte um ihr Leben kein Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war und ihre Angst ward immer größer, daß sie zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Thüre auf und trat ein kleines Männchen herein und sprach: "guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint sie so sehr?" "Ach! antwortete das Mädchen, ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe es nicht." Sprach das Männchen: "was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?" "Mein Halsband," sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war auch die zweite voll, und so gings fort bis

55.
Rumpelstilzchen.

Es war einmal ein Muͤller, der war arm, aber er hatte eine schoͤne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem Koͤnig zu sprechen kam und zu ihm sagte: „ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.“ Dem Koͤnig, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl und er befahl, die Muͤllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden. Dann fuͤhrte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach: „wenn du diese Nacht durch bis morgen fruͤh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.“ Darauf ward die Kammer verschlossen und sie blieb allein darin.

Da saß nun die arme Muͤllerstochter und wußte um ihr Leben kein Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war und ihre Angst ward immer groͤßer, daß sie zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Thuͤre auf und trat ein kleines Maͤnnchen herein und sprach: „guten Abend, Jungfer Muͤllerin, warum weint sie so sehr?“ „Ach! antwortete das Maͤdchen, ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe es nicht.“ Sprach das Maͤnnchen: „was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?“ „Mein Halsband,“ sagte das Maͤdchen. Das Maͤnnchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Raͤdchen und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war auch die zweite voll, und so gings fort bis

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[280/0344] 55. Rumpelstilzchen. Es war einmal ein Muͤller, der war arm, aber er hatte eine schoͤne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem Koͤnig zu sprechen kam und zu ihm sagte: „ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.“ Dem Koͤnig, der das Gold lieb hatte, gefiel die Kunst gar wohl und er befahl, die Muͤllerstochter sollte alsbald vor ihn gebracht werden. Dann fuͤhrte er sie in eine Kammer, die ganz voll Stroh war, gab ihr Rad und Haspel, und sprach: „wenn du diese Nacht durch bis morgen fruͤh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben.“ Darauf ward die Kammer verschlossen und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Muͤllerstochter und wußte um ihr Leben kein Rath, denn sie verstand gar nichts davon, wie das Stroh zu Gold zu spinnen war und ihre Angst ward immer groͤßer, daß sie zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Thuͤre auf und trat ein kleines Maͤnnchen herein und sprach: „guten Abend, Jungfer Muͤllerin, warum weint sie so sehr?“ „Ach! antwortete das Maͤdchen, ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe es nicht.“ Sprach das Maͤnnchen: „was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?“ „Mein Halsband,“ sagte das Maͤdchen. Das Maͤnnchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Raͤdchen und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf und schnurr! schnurr! schnurr! dreimal gezogen, war auch die zweite voll, und so gings fort bis

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/344>, abgerufen am 23.11.2024.