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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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vorzüglich erscheinen im Komischen, weil es so viel Eckiges und Hervorspringendes hat, gleich feststehende Masken. Ueberhaupt aber, jemehr solche Charaktere auf die Natur eines Volks, seine Tugenden und Schwächen sich gründen, desto bleibender und unvergänglicher werden sie auch seyn, und nach allen äußerlichen Veränderungen jedesmal frisch sich herausbilden. Welches Epos hätte nicht als Helden einen Achill und Ulysses, im Humor und Scherz seinen Lalenbürger und Eulenspiegel. Es sind die natürlichen Formen und Gränzen der Poesie, innerhalb welchen sie sich mit aller Freiheit und Mannigfaltigkeit bewegen kann. Von Siegfrieds eigenthümlichem, die deutsche Natur vorzugsweise bezeichnenden Charakter, war vorhin die Rede; dieser hat aber schon einen gewissen Anklang von einem andern, der hier oft vorkommt und der Dummling genannt wird. Jn der Jugend zurückgesetzt, zu allen Dingen, wozu Witz und Gefügsamkeit gehören, ungeschickt, muß er gemeine Arbeiten verrichten (wie Siegfried das Schmiedehandwerk treibt) und Spott erdulden; er ist das Aschenkind, das am Heerde oder unter der Treppe seine Schlafstätte hat; aber es leuchtet dabei eine innere Freudigkeit und eine höhere Kraft durch; schön wird er im Parcifal der Dummeklare genannt*). Kommt es dann zur lebendigen That, so erhebt er sich schnell, wie eine lange keimende, endlich vom Sonnenlicht berührte Pflanze, und dann vermag er allein unter vielen das Ziel zu erreichen. Er ist hier unter verschiedenen Verhältnissen dargestellt, gewöhnlich der jüngste von dreien Brüdern, stehen ihm die beiden

*) Vergl. Altdeutsche Wälder I.

vorzuͤglich erscheinen im Komischen, weil es so viel Eckiges und Hervorspringendes hat, gleich feststehende Masken. Ueberhaupt aber, jemehr solche Charaktere auf die Natur eines Volks, seine Tugenden und Schwaͤchen sich gruͤnden, desto bleibender und unvergaͤnglicher werden sie auch seyn, und nach allen aͤußerlichen Veraͤnderungen jedesmal frisch sich herausbilden. Welches Epos haͤtte nicht als Helden einen Achill und Ulysses, im Humor und Scherz seinen Lalenbuͤrger und Eulenspiegel. Es sind die natuͤrlichen Formen und Graͤnzen der Poesie, innerhalb welchen sie sich mit aller Freiheit und Mannigfaltigkeit bewegen kann. Von Siegfrieds eigenthuͤmlichem, die deutsche Natur vorzugsweise bezeichnenden Charakter, war vorhin die Rede; dieser hat aber schon einen gewissen Anklang von einem andern, der hier oft vorkommt und der Dummling genannt wird. Jn der Jugend zuruͤckgesetzt, zu allen Dingen, wozu Witz und Gefuͤgsamkeit gehoͤren, ungeschickt, muß er gemeine Arbeiten verrichten (wie Siegfried das Schmiedehandwerk treibt) und Spott erdulden; er ist das Aschenkind, das am Heerde oder unter der Treppe seine Schlafstaͤtte hat; aber es leuchtet dabei eine innere Freudigkeit und eine hoͤhere Kraft durch; schoͤn wird er im Parcifal der Dummeklare genannt*). Kommt es dann zur lebendigen That, so erhebt er sich schnell, wie eine lange keimende, endlich vom Sonnenlicht beruͤhrte Pflanze, und dann vermag er allein unter vielen das Ziel zu erreichen. Er ist hier unter verschiedenen Verhaͤltnissen dargestellt, gewoͤhnlich der juͤngste von dreien Bruͤdern, stehen ihm die beiden

*) Vergl. Altdeutsche Waͤlder I.
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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. LI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/59>, abgerufen am 24.11.2024.