Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
8.
Der wunderliche Spielmann.

Es war einmal ein wunderlicher Spielmann, der gieng durch einen Wald mutterselig allein, und dachte hin und her, und als für seine Gedanken nichts mehr übrig war, sprach er zu sich selbst 'mir wird hier im Walde Zeit und Weile lang, ich will einen guten Gesellen herbei holen.' Da nahm er die Geige vom Rücken, und fidelte eins daß es durch die Bäume schallte. Nicht lange, so kam ein Wolf durch das Dickicht daher getrabt. 'Ach, ein Wolf kommt! nach dem trage ich kein Verlangen' sagte der Spielmann, aber der Wolf schritt näher, und sprach zu ihm 'ei, du lieber Spielmann, was fidelst du so schön! das möcht ich auch lernen.' 'Das ist bald gelernt,' antwortete ihm der Spielmann, 'du mußt nur alles thun, was ich dich heiße.' 'O Spielmann,' sprach der Wolf, 'ich will dir gehorchen, wie ein Schüler seinem Meister.' Der Spielmann hieß ihn mitgehen, und als sie ein Stück Wegs zusammen gegangen waren, kamen sie an einen alten Eichbaum, der innen hohl und in der Mitte aufgerissen war. 'Sieh hier,' sprach der Spielmann, 'willst du fideln lernen, so lege die Vorderpfoten in diesen Spalt.' Der Wolf gehorchte, aber der Spielmann hob schnell einen Stein auf, und keilte ihm die beiden Pfoten mit einem Schlag so fest

8.
Der wunderliche Spielmann.

Es war einmal ein wunderlicher Spielmann, der gieng durch einen Wald mutterselig allein, und dachte hin und her, und als für seine Gedanken nichts mehr übrig war, sprach er zu sich selbst ‘mir wird hier im Walde Zeit und Weile lang, ich will einen guten Gesellen herbei holen.’ Da nahm er die Geige vom Rücken, und fidelte eins daß es durch die Bäume schallte. Nicht lange, so kam ein Wolf durch das Dickicht daher getrabt. ‘Ach, ein Wolf kommt! nach dem trage ich kein Verlangen’ sagte der Spielmann, aber der Wolf schritt näher, und sprach zu ihm ‘ei, du lieber Spielmann, was fidelst du so schön! das möcht ich auch lernen.’ ‘Das ist bald gelernt,’ antwortete ihm der Spielmann, ‘du mußt nur alles thun, was ich dich heiße.’ ‘O Spielmann,’ sprach der Wolf, ‘ich will dir gehorchen, wie ein Schüler seinem Meister.’ Der Spielmann hieß ihn mitgehen, und als sie ein Stück Wegs zusammen gegangen waren, kamen sie an einen alten Eichbaum, der innen hohl und in der Mitte aufgerissen war. ‘Sieh hier,’ sprach der Spielmann, ‘willst du fideln lernen, so lege die Vorderpfoten in diesen Spalt.’ Der Wolf gehorchte, aber der Spielmann hob schnell einen Stein auf, und keilte ihm die beiden Pfoten mit einem Schlag so fest

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0101" n="52"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">8.<lb/>
Der wunderliche Spielmann.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein wunderlicher Spielmann, der gieng durch einen Wald mutterselig allein, und dachte hin und her, und als für seine Gedanken nichts mehr übrig war, sprach er zu sich selbst &#x2018;mir wird hier im Walde Zeit und Weile lang, ich will einen guten Gesellen herbei holen.&#x2019; Da nahm er die Geige vom Rücken, und fidelte eins daß es durch die Bäume schallte. Nicht lange, so kam ein Wolf durch das Dickicht daher getrabt. &#x2018;Ach, ein Wolf kommt! nach dem trage ich kein Verlangen&#x2019; sagte der Spielmann, aber der Wolf schritt näher, und sprach zu ihm &#x2018;ei, du lieber Spielmann, was fidelst du so schön! das möcht ich auch lernen.&#x2019; &#x2018;Das ist bald gelernt,&#x2019; antwortete ihm der Spielmann, &#x2018;du mußt nur alles thun, was ich dich heiße.&#x2019; &#x2018;O Spielmann,&#x2019; sprach der Wolf, &#x2018;ich will dir gehorchen, wie ein Schüler seinem Meister.&#x2019; Der Spielmann hieß ihn mitgehen, und als sie ein Stück Wegs zusammen gegangen waren, kamen sie an einen alten Eichbaum, der innen hohl und in der Mitte aufgerissen war. &#x2018;Sieh hier,&#x2019; sprach der Spielmann, &#x2018;willst du fideln lernen, so lege die Vorderpfoten in diesen Spalt.&#x2019; Der Wolf gehorchte, aber der Spielmann hob schnell einen Stein auf, und keilte ihm die beiden Pfoten mit einem Schlag so fest
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0101] 8. Der wunderliche Spielmann. Es war einmal ein wunderlicher Spielmann, der gieng durch einen Wald mutterselig allein, und dachte hin und her, und als für seine Gedanken nichts mehr übrig war, sprach er zu sich selbst ‘mir wird hier im Walde Zeit und Weile lang, ich will einen guten Gesellen herbei holen.’ Da nahm er die Geige vom Rücken, und fidelte eins daß es durch die Bäume schallte. Nicht lange, so kam ein Wolf durch das Dickicht daher getrabt. ‘Ach, ein Wolf kommt! nach dem trage ich kein Verlangen’ sagte der Spielmann, aber der Wolf schritt näher, und sprach zu ihm ‘ei, du lieber Spielmann, was fidelst du so schön! das möcht ich auch lernen.’ ‘Das ist bald gelernt,’ antwortete ihm der Spielmann, ‘du mußt nur alles thun, was ich dich heiße.’ ‘O Spielmann,’ sprach der Wolf, ‘ich will dir gehorchen, wie ein Schüler seinem Meister.’ Der Spielmann hieß ihn mitgehen, und als sie ein Stück Wegs zusammen gegangen waren, kamen sie an einen alten Eichbaum, der innen hohl und in der Mitte aufgerissen war. ‘Sieh hier,’ sprach der Spielmann, ‘willst du fideln lernen, so lege die Vorderpfoten in diesen Spalt.’ Der Wolf gehorchte, aber der Spielmann hob schnell einen Stein auf, und keilte ihm die beiden Pfoten mit einem Schlag so fest

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-24T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/101
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/101>, abgerufen am 21.11.2024.