Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete 'ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!' 'So komm nach Haus,' sagte der Junge, führte sie in den Stall, und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider traute nicht, gieng hinab und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Das boshafte Thier antwortete 'wovon sollt ich satt seyn? ich sprang nur über Gräbelein, und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!' 'O die Lügenbrut!' rief der Schneider, 'einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!' und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf, und gerbte dem einen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaus sprang. Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen gieng er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege, und sprach 'komm, mein liebes Thierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.' Er nahm sie am Strick, und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was die Ziegen gerne fressen. 'Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen' sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er 'Ziege, bist du satt?' Sie antwortete aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete ‘ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!’ ‘So komm nach Haus,’ sagte der Junge, führte sie in den Stall, und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Schneider traute nicht, gieng hinab und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Das boshafte Thier antwortete ‘wovon sollt ich satt seyn? ich sprang nur über Gräbelein, und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’ ‘O die Lügenbrut!’ rief der Schneider, ‘einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!’ und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf, und gerbte dem einen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaus sprang. Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen gieng er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege, und sprach ‘komm, mein liebes Thierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.’ Er nahm sie am Strick, und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was die Ziegen gerne fressen. ‘Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen’ sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Sie antwortete <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0265" n="216"/> aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘ich bin so satt,</l><lb/> <l>ich mag kein Blatt: meh! meh!’</l><lb/> </lg> <p>‘So komm nach Haus,’ sagte der Junge, führte sie in den Stall, und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Schneider traute nicht, gieng hinab und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Das boshafte Thier antwortete</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘wovon sollt ich satt seyn?</l><lb/> <l>ich sprang nur über Gräbelein,</l><lb/> <l>und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’</l><lb/> </lg> <p>‘O die Lügenbrut!’ rief der Schneider, ‘einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!’ und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf, und gerbte dem einen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaus sprang.</p><lb/> <p>Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen gieng er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege, und sprach ‘komm, mein liebes Thierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.’ Er nahm sie am Strick, und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was die Ziegen gerne fressen. ‘Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen’ sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Sie antwortete</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [216/0265]
aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er ‘Ziege, bist du auch satt?’ Die Ziege antwortete
‘ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!’
‘So komm nach Haus,’ sagte der Junge, führte sie in den Stall, und band sie fest. ‘Nun,’ sagte der alte Schneider, ‘hat die Ziege ihr gehöriges Futter?’ ‘O,’ antwortete der Sohn, ‘die ist so satt, sie mag kein Blatt.’ Der Schneider traute nicht, gieng hinab und fragte ‘Ziege, bist du auch satt?’ Das boshafte Thier antwortete
‘wovon sollt ich satt seyn?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!’
‘O die Lügenbrut!’ rief der Schneider, ‘einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!’ und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf, und gerbte dem einen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaus sprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen gieng er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege, und sprach ‘komm, mein liebes Thierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.’ Er nahm sie am Strick, und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe und was die Ziegen gerne fressen. ‘Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen’ sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er ‘Ziege, bist du satt?’ Sie antwortete
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-07-24T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |