Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.oder für gescheidte Leute abgeschmackt: man weiß sie und liebt sie, weil man sie eben so empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergänglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man übrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Märchen nicht rühmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd. Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen oder für gescheidte Leute abgeschmackt: man weiß sie und liebt sie, weil man sie eben so empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergänglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man übrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Märchen nicht rühmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd. Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0028" n="XI"/> oder für gescheidte Leute abgeschmackt: man weiß sie und liebt sie, weil man sie eben so empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergänglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man übrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Märchen nicht rühmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd.</p><lb/> <p>Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen </p> </div> </front> </text> </TEI> [XI/0028]
oder für gescheidte Leute abgeschmackt: man weiß sie und liebt sie, weil man sie eben so empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat diese Poesie mit allem unvergänglichen gemein, daß man ihr selbst gegen einen andern Willen geneigt seyn muß. Leicht wird man übrigens bemerken daß sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne hier diese Märchen nicht rühmen, oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung vertheidigen; ihr bloßes Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich, und ist gewiß aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben bethaut, und wenn auch nur ein einziger Tropfen, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefaßt hat, doch in dem ersten Morgenroth schimmernd.
Darum auch geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen; sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen
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