Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
76.
Die Nelke.

Es war eine Königin, die hatte unser Herr Gott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da gieng sie alle Morgen in den Garten, und bat zu Gott im Himmel er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach 'gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er erhalten.' Sie gieng zum König, und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Frende.

Nun gieng sie alle Morgen mit dem Kind in den Thiergarten, und wusch sich da; und es geschah einstmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schooß lag, und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte daß das Kind wünschliche Gedanken hatte, und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Dann trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der

76.
Die Nelke.

Es war eine Königin, die hatte unser Herr Gott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da gieng sie alle Morgen in den Garten, und bat zu Gott im Himmel er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach ‘gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er erhalten.’ Sie gieng zum König, und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Frende.

Nun gieng sie alle Morgen mit dem Kind in den Thiergarten, und wusch sich da; und es geschah einstmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schooß lag, und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte daß das Kind wünschliche Gedanken hatte, und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Dann trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0508" n="459"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">76.<lb/>
Die Nelke.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war eine Königin, die hatte unser Herr Gott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da gieng sie alle Morgen in den Garten, und bat zu Gott im Himmel er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach &#x2018;gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er erhalten.&#x2019; Sie gieng zum König, und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Frende.</p><lb/>
        <p>Nun gieng sie alle Morgen mit dem Kind in den Thiergarten, und wusch sich da; und es geschah einstmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schooß lag, und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte daß das Kind wünschliche Gedanken hatte, und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Dann trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0508] 76. Die Nelke. Es war eine Königin, die hatte unser Herr Gott verschlossen, daß sie keine Kinder gebar. Da gieng sie alle Morgen in den Garten, und bat zu Gott im Himmel er möchte ihr einen Sohn oder eine Tochter bescheren. Da kam ein Engel vom Himmel und sprach ‘gib dich zufrieden, du sollst einen Sohn haben mit wünschlichen Gedanken, denn was er sich wünscht auf der Welt, das wird er erhalten.’ Sie gieng zum König, und sagte ihm die fröhliche Botschaft, und als die Zeit herum war, gebar sie einen Sohn, und der König war in großer Frende. Nun gieng sie alle Morgen mit dem Kind in den Thiergarten, und wusch sich da; und es geschah einstmals, als das Kind schon ein wenig älter war, daß es ihr auf dem Schooß lag, und sie entschlief. Da kam der alte Koch, der wußte daß das Kind wünschliche Gedanken hatte, und raubte es, und nahm ein Huhn und zerriß es, und tropfte ihr das Blut auf die Schürze und das Kleid. Dann trug er das Kind fort an einen verborgenen Ort, wo es eine Amme tränken mußte, und lief zum König und klagte die Königin an, sie habe ihr Kind von den wilden Thieren rauben lassen. Und als der König das Blut an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-24T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/508
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/508>, abgerufen am 21.11.2024.