Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sey, sagten sie laut die Königin hätte es gegessen, und des Königs Räthe verlangten daß sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen. Jm dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria, und sprach 'folge mir.' Und sie nahm sie bei der Hand, und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an, und spielten mit der Weltkugel. Und als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria 'willst du nun eingestehen daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.' Die Königin antwortete zum drittenmal 'nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.' Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken, und nahm ihr auch das dritte Kind. Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut 'die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden!' und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es wurde ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie nun an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu brennen aufieng, da ward ihr Herz von Reue bewegt, und sie dachte 'könnt ich vor meinem weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sey, sagten sie laut die Königin hätte es gegessen, und des Königs Räthe verlangten daß sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen. Jm dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria, und sprach ‘folge mir.’ Und sie nahm sie bei der Hand, und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an, und spielten mit der Weltkugel. Und als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria ‘willst du nun eingestehen daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.’ Die Königin antwortete zum drittenmal ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.’ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken, und nahm ihr auch das dritte Kind. Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut ‘die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden!’ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es wurde ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie nun an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu brennen aufieng, da ward ihr Herz von Reue bewegt, und sie dachte ‘könnt ich vor meinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0065" n="16"/> weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sey, sagten sie laut die Königin hätte es gegessen, und des Königs Räthe verlangten daß sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen.</p><lb/> <p>Jm dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria, und sprach ‘folge mir.’ Und sie nahm sie bei der Hand, und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an, und spielten mit der Weltkugel. Und als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria ‘willst du nun eingestehen daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.’ Die Königin antwortete zum drittenmal ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.’ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken, und nahm ihr auch das dritte Kind.</p><lb/> <p>Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut ‘die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden!’ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es wurde ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie nun an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu brennen aufieng, da ward ihr Herz von Reue bewegt, und sie dachte ‘könnt ich vor meinem </p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0065]
weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als die Leute hörten daß das Kind abermals verschwunden sey, sagten sie laut die Königin hätte es gegessen, und des Königs Räthe verlangten daß sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb daß er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes- und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen.
Jm dritten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr auch wieder Nachts die Jungfrau Maria, und sprach ‘folge mir.’ Und sie nahm sie bei der Hand, und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an, und spielten mit der Weltkugel. Und als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria ‘willst du nun eingestehen daß du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.’ Die Königin antwortete zum drittenmal ‘nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.’ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde hinabsinken, und nahm ihr auch das dritte Kind.
Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut ‘die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden!’ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es wurde ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie nun an den Pfahl festgebunden war, und das Feuer rings umher zu brennen aufieng, da ward ihr Herz von Reue bewegt, und sie dachte ‘könnt ich vor meinem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-07-24T14:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |