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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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wer will,' sagte der Junge, 'ich fürchte mich nicht: ich bin aber so müde, daß ich nicht weiter kann,' streckte sich auf eine Bank, und schlief ein. Bald hernach kamen die Räuber und fragten zornig was da für ein fremder Knabe läge. 'Ach,' sagte die Alte, 'es ist ein unschuldiges Kind, es hat sich im Walde verirrt, und ich habe ihn aus Barmherzigkeit aufgenommen: er soll einen Brief an die Frau Königin bringen.' Die Räuber erbrachen den Brief und lasen ihn, und es stand darin daß der Knabe sogleich, wie er ankäme, sollte ums Leben gebracht werden. Da empfanden die hartherzigen Räuber Mitleid, und der Anführer zerriß den Brief und schrieb einen andern, und es stand darin so wie der Knabe ankäme, sollte er sogleich mit der Königstochter vermählt werden. Sie ließen ihn dann ruhig bis zum andern Morgen auf der Bank liegen, und als er aufgewacht war, gaben sie ihm den Brief und zeigten ihm den rechten Weg. Die Königin aber, als sie den Brief empfangen und gelesen hatte, that wie darin stand, hieß ein prächtiges Hochzeitsfest anstellen, und die Königstochter ward mit dem Glückskind vermählt; und da der Jüngling schön und freundlich war, so lebte sie vergnügt und zufrieden mit ihm.

Nach einiger Zeit kam der König wieder in sein Schloß und sah daß die Weissagung erfüllt und das Glückskind mit seiner Tochter vermählt war. 'Wie ist das zugegangen?' sprach er, 'ich habe in meinem Brief einen ganz andern Befehl ertheilt.' Da reichte ihm die Königin den Brief und sagte er möchte selbst sehen was darin stände. Der König las den Brief und merkte wohl daß er mit einem andern war vertauscht worden. Er fragte den Jüngling wie es mit dem anvertrauten Briefe zugegangen wäre, warum er einen andern dafür gebracht hätte. 'Jch weiß von nichts,' antwortete er, 'er muß mir in der Nacht vertauscht sein, als ich im Walde geschlafen habe.' Voll Zorn sprach der König 'so leicht soll es dir nicht werden, wer meine Tochter haben will, der muß mir

wer will,’ sagte der Junge, ‘ich fürchte mich nicht: ich bin aber so müde, daß ich nicht weiter kann,’ streckte sich auf eine Bank, und schlief ein. Bald hernach kamen die Räuber und fragten zornig was da für ein fremder Knabe läge. ‘Ach,’ sagte die Alte, ‘es ist ein unschuldiges Kind, es hat sich im Walde verirrt, und ich habe ihn aus Barmherzigkeit aufgenommen: er soll einen Brief an die Frau Königin bringen.’ Die Räuber erbrachen den Brief und lasen ihn, und es stand darin daß der Knabe sogleich, wie er ankäme, sollte ums Leben gebracht werden. Da empfanden die hartherzigen Räuber Mitleid, und der Anführer zerriß den Brief und schrieb einen andern, und es stand darin so wie der Knabe ankäme, sollte er sogleich mit der Königstochter vermählt werden. Sie ließen ihn dann ruhig bis zum andern Morgen auf der Bank liegen, und als er aufgewacht war, gaben sie ihm den Brief und zeigten ihm den rechten Weg. Die Königin aber, als sie den Brief empfangen und gelesen hatte, that wie darin stand, hieß ein prächtiges Hochzeitsfest anstellen, und die Königstochter ward mit dem Glückskind vermählt; und da der Jüngling schön und freundlich war, so lebte sie vergnügt und zufrieden mit ihm.

Nach einiger Zeit kam der König wieder in sein Schloß und sah daß die Weissagung erfüllt und das Glückskind mit seiner Tochter vermählt war. ‘Wie ist das zugegangen?’ sprach er, ‘ich habe in meinem Brief einen ganz andern Befehl ertheilt.’ Da reichte ihm die Königin den Brief und sagte er möchte selbst sehen was darin stände. Der König las den Brief und merkte wohl daß er mit einem andern war vertauscht worden. Er fragte den Jüngling wie es mit dem anvertrauten Briefe zugegangen wäre, warum er einen andern dafür gebracht hätte. ‘Jch weiß von nichts,’ antwortete er, ‘er muß mir in der Nacht vertauscht sein, als ich im Walde geschlafen habe.’ Voll Zorn sprach der König ‘so leicht soll es dir nicht werden, wer meine Tochter haben will, der muß mir

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/187>, abgerufen am 19.05.2024.