Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

gegruselt?' 'Ei was,' sprach er, 'lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte was Gruseln wäre?'

Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich 'wenn es mir nur gruselte!' Als es spät ward kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade hereingetragen. Da sprach er 'ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist,' winkte mit dem Finger und rief 'komm, Vetterchen, komm!' Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber gieng hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein todter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. 'Wart,' sprach er, 'ich will dich ein bischen wärmen,' gieng ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein 'wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,' brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen. Da sprach der Junge 'siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!' Der Todte aber hub an und rief 'jetzt will ich dich erwürgen.' 'Was,' sagte er, 'ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,' hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. 'Es will mir nicht gruseln,' sagte er, 'hier lerne ichs mein Lebtag nicht.'

Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. 'O du Wicht,' rief er, 'nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben.' 'Nicht so schnell,' antwortete der Junge, 'soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.'

gegruselt?’ ‘Ei was,’ sprach er, ‘lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte was Gruseln wäre?’

Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich ‘wenn es mir nur gruselte!’ Als es spät ward kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade hereingetragen. Da sprach er ‘ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist,’ winkte mit dem Finger und rief ‘komm, Vetterchen, komm!’ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber gieng hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein todter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. ‘Wart,’ sprach er, ‘ich will dich ein bischen wärmen,’ gieng ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein ‘wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,’ brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen. Da sprach der Junge ‘siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!’ Der Todte aber hub an und rief ‘jetzt will ich dich erwürgen.’ ‘Was,’ sagte er, ‘ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,’ hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. ‘Es will mir nicht gruseln,’ sagte er, ‘hier lerne ichs mein Lebtag nicht.’

Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. ‘O du Wicht,’ rief er, ‘nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben.’ ‘Nicht so schnell,’ antwortete der Junge, ‘soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.’

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0056" n="23"/>
gegruselt?&#x2019; &#x2018;Ei was,&#x2019; sprach er, &#x2018;lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte was Gruseln wäre?&#x2019;</p><lb/>
        <p>Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich &#x2018;wenn es mir nur gruselte!&#x2019; Als es spät ward kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade hereingetragen. Da sprach er &#x2018;ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist,&#x2019; winkte mit dem Finger und rief &#x2018;komm, Vetterchen, komm!&#x2019; Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber gieng hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein todter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. &#x2018;Wart,&#x2019; sprach er, &#x2018;ich will dich ein bischen wärmen,&#x2019; gieng ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein &#x2018;wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,&#x2019; brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen. Da sprach der Junge &#x2018;siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!&#x2019; Der Todte aber hub an und rief &#x2018;jetzt will ich dich erwürgen.&#x2019; &#x2018;Was,&#x2019; sagte er, &#x2018;ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,&#x2019; hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. &#x2018;Es will mir nicht gruseln,&#x2019; sagte er, &#x2018;hier lerne ichs mein Lebtag nicht.&#x2019;</p><lb/>
        <p>Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. &#x2018;O du Wicht,&#x2019; rief er, &#x2018;nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben.&#x2019; &#x2018;Nicht so schnell,&#x2019; antwortete der Junge, &#x2018;soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.&#x2019;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0056] gegruselt?’ ‘Ei was,’ sprach er, ‘lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüßte was Gruseln wäre?’ Jn der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich ‘wenn es mir nur gruselte!’ Als es spät ward kamen sechs große Männer und brachten eine Todtenlade hereingetragen. Da sprach er ‘ha ha, das ist gewiß mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist,’ winkte mit dem Finger und rief ‘komm, Vetterchen, komm!’ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber gieng hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein todter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. ‘Wart,’ sprach er, ‘ich will dich ein bischen wärmen,’ gieng ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schooß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein ‘wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,’ brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Todte warm und fieng an sich zu regen. Da sprach der Junge ‘siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!’ Der Todte aber hub an und rief ‘jetzt will ich dich erwürgen.’ ‘Was,’ sagte er, ‘ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,’ hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. ‘Es will mir nicht gruseln,’ sagte er, ‘hier lerne ichs mein Lebtag nicht.’ Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. ‘O du Wicht,’ rief er, ‘nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben.’ ‘Nicht so schnell,’ antwortete der Junge, ‘soll ich sterben, so muß ich auch dabei sein.’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books (University of Oxford, Taylor Institution Library): Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-03T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/56
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/56>, abgerufen am 24.11.2024.