Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt sich die Diebshand an, bestrich sie mit seiner
Salbe, alsbald war sie ihm angewachsen. Der
zweite nahm die Katzenaugen und heilte sie ein;
der dritte machte das Schweineherz fest. Der
Wirth aber stand dabei, bewunderte ihre Kunst
und sagte, dergleichen hätte er noch nicht ge-
sehen, er wollt' sie bei Jedermann rühmen und
empfehlen. Darauf bezahlten sie ihre Zeche und
reisten weiter.

Wie sie so dahin gingen, so blieb der mit dem
Schweineherzen gar nicht bei ihnen, sondern wo
eine Ecke war, lief er hin, schnüffelte darin herum,
wie Schweine thun. Die andern wollten ihn
an dem Rockschlippen zurückhalten, aber das half
nichts, er riß sich los und lief hin, wo der dickste
Dreck lag. Der zweite stellte sich auch wunderlich
an, rieb die Augen und sagte zu dem andern:
"Cammerad, was ist das? das sind meine Augen
nicht, ich sehe ja nichts, leit' mich doch, daß ich
nicht falle." Da gingen sie mit Mühe fort bis
zum Abend und sie zu einer andern Herberge ka-
men. Sie traten zusammen in die Wirthsstube,
da saß in einer Ecke ein reicher Herr vorm Tisch
und zählte Geld. Der mit der Diebshand ging
um ihn herum, zuckt' ein paarmal, endlich wie
der Herr sich umwendete, griff er in den Haufen
hinein und nahm eine Hand voll Geld heraus.
Der eine sah's und sprach: "Cammerad, was
machst du, stehlen darfst du nicht, schäm' dich."

hielt ſich die Diebshand an, beſtrich ſie mit ſeiner
Salbe, alsbald war ſie ihm angewachſen. Der
zweite nahm die Katzenaugen und heilte ſie ein;
der dritte machte das Schweineherz feſt. Der
Wirth aber ſtand dabei, bewunderte ihre Kunſt
und ſagte, dergleichen haͤtte er noch nicht ge-
ſehen, er wollt’ ſie bei Jedermann ruͤhmen und
empfehlen. Darauf bezahlten ſie ihre Zeche und
reiſten weiter.

Wie ſie ſo dahin gingen, ſo blieb der mit dem
Schweineherzen gar nicht bei ihnen, ſondern wo
eine Ecke war, lief er hin, ſchnuͤffelte darin herum,
wie Schweine thun. Die andern wollten ihn
an dem Rockſchlippen zuruͤckhalten, aber das half
nichts, er riß ſich los und lief hin, wo der dickſte
Dreck lag. Der zweite ſtellte ſich auch wunderlich
an, rieb die Augen und ſagte zu dem andern:
„Cammerad, was iſt das? das ſind meine Augen
nicht, ich ſehe ja nichts, leit’ mich doch, daß ich
nicht falle.“ Da gingen ſie mit Muͤhe fort bis
zum Abend und ſie zu einer andern Herberge ka-
men. Sie traten zuſammen in die Wirthsſtube,
da ſaß in einer Ecke ein reicher Herr vorm Tiſch
und zaͤhlte Geld. Der mit der Diebshand ging
um ihn herum, zuckt’ ein paarmal, endlich wie
der Herr ſich umwendete, griff er in den Haufen
hinein und nahm eine Hand voll Geld heraus.
Der eine ſah’s und ſprach: „Cammerad, was
machſt du, ſtehlen darfſt du nicht, ſchaͤm’ dich.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="175"/>
hielt &#x017F;ich die Diebshand an, be&#x017F;trich &#x017F;ie mit &#x017F;einer<lb/>
Salbe, alsbald war &#x017F;ie ihm angewach&#x017F;en. Der<lb/>
zweite nahm die Katzenaugen und heilte &#x017F;ie ein;<lb/>
der dritte machte das Schweineherz fe&#x017F;t. Der<lb/>
Wirth aber &#x017F;tand dabei, bewunderte ihre Kun&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;agte, dergleichen ha&#x0364;tte er noch nicht ge-<lb/>
&#x017F;ehen, er wollt&#x2019; &#x017F;ie bei Jedermann ru&#x0364;hmen und<lb/>
empfehlen. Darauf bezahlten &#x017F;ie ihre Zeche und<lb/>
rei&#x017F;ten weiter.</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;ie &#x017F;o dahin gingen, &#x017F;o blieb der mit dem<lb/>
Schweineherzen gar nicht bei ihnen, &#x017F;ondern wo<lb/>
eine Ecke war, lief er hin, &#x017F;chnu&#x0364;ffelte darin herum,<lb/>
wie Schweine thun. Die andern wollten ihn<lb/>
an dem Rock&#x017F;chlippen zuru&#x0364;ckhalten, aber das half<lb/>
nichts, er riß &#x017F;ich los und lief hin, wo der dick&#x017F;te<lb/>
Dreck lag. Der zweite &#x017F;tellte &#x017F;ich auch wunderlich<lb/>
an, rieb die Augen und &#x017F;agte zu dem andern:<lb/>
&#x201E;Cammerad, was i&#x017F;t das? das &#x017F;ind meine Augen<lb/>
nicht, ich &#x017F;ehe ja nichts, leit&#x2019; mich doch, daß ich<lb/>
nicht falle.&#x201C; Da gingen &#x017F;ie mit Mu&#x0364;he fort bis<lb/>
zum Abend und &#x017F;ie zu einer andern Herberge ka-<lb/>
men. Sie traten zu&#x017F;ammen in die Wirths&#x017F;tube,<lb/>
da &#x017F;aß in einer Ecke ein reicher Herr vorm Ti&#x017F;ch<lb/>
und za&#x0364;hlte Geld. Der mit der Diebshand ging<lb/>
um ihn herum, zuckt&#x2019; ein paarmal, endlich wie<lb/>
der Herr &#x017F;ich umwendete, griff er in den Haufen<lb/>
hinein und nahm eine Hand voll Geld heraus.<lb/>
Der eine &#x017F;ah&#x2019;s und &#x017F;prach: &#x201E;Cammerad, was<lb/>
mach&#x017F;t du, &#x017F;tehlen darf&#x017F;t du nicht, &#x017F;cha&#x0364;m&#x2019; dich.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0196] hielt ſich die Diebshand an, beſtrich ſie mit ſeiner Salbe, alsbald war ſie ihm angewachſen. Der zweite nahm die Katzenaugen und heilte ſie ein; der dritte machte das Schweineherz feſt. Der Wirth aber ſtand dabei, bewunderte ihre Kunſt und ſagte, dergleichen haͤtte er noch nicht ge- ſehen, er wollt’ ſie bei Jedermann ruͤhmen und empfehlen. Darauf bezahlten ſie ihre Zeche und reiſten weiter. Wie ſie ſo dahin gingen, ſo blieb der mit dem Schweineherzen gar nicht bei ihnen, ſondern wo eine Ecke war, lief er hin, ſchnuͤffelte darin herum, wie Schweine thun. Die andern wollten ihn an dem Rockſchlippen zuruͤckhalten, aber das half nichts, er riß ſich los und lief hin, wo der dickſte Dreck lag. Der zweite ſtellte ſich auch wunderlich an, rieb die Augen und ſagte zu dem andern: „Cammerad, was iſt das? das ſind meine Augen nicht, ich ſehe ja nichts, leit’ mich doch, daß ich nicht falle.“ Da gingen ſie mit Muͤhe fort bis zum Abend und ſie zu einer andern Herberge ka- men. Sie traten zuſammen in die Wirthsſtube, da ſaß in einer Ecke ein reicher Herr vorm Tiſch und zaͤhlte Geld. Der mit der Diebshand ging um ihn herum, zuckt’ ein paarmal, endlich wie der Herr ſich umwendete, griff er in den Haufen hinein und nahm eine Hand voll Geld heraus. Der eine ſah’s und ſprach: „Cammerad, was machſt du, ſtehlen darfſt du nicht, ſchaͤm’ dich.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/196
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/196>, abgerufen am 22.12.2024.