zum Abend, da setzte es sich unter einen Baum, befahl sich Gott und wollt' da sitzen bleiben und nicht weggehen, möchte geschehen, was immer wollte. Als es aber ein Bischen da gesessen, kam ein weiß Täubchen heruntergeflogen, mit einem kleinen goldnen Schlüsselchen im Schnabel, das legte es ihm in die Hand und sprach: "siehst du dort den großen Baum, daran ist ein kleines Schloß, das schließ mit dem Schlüsselchen auf, so wirst du Speise genug finden und keinen Hun- ger mehr leiden." Da ging es zu dem Baum und schloß ihn auf und fand Milch in einem klei- nen Schüsselchen und Weißbrot zum Einbrocken dabei, daß es sich satt essen konnte. Als es satt war, sprach es: "jetzt ist Zeit, wo die Hühner daheim auffliegen, ich bin so müd', könnt' ich mich auch in mein Bett legen!" Da kam das Täubchen wiedergeflogen und hatt' ein anderes gol- denes Schlüsselchen im Schnabel und sagt: "schließ dort den Baum auf, da wirst du ein Bett finden. Da schloß es auf und fand ein schönes weiches Bettchen, da betete es zum lieben Gott, er sollt' es behüten in der Nacht, legte sich und schlief ein. Am Morgen kam das Täubchen zum drittenmal und brachte wieder ein Schlüsselchen und sprach: "schließ dort den Baum auf, da wirst du Kleider finden;" und wie es aufschloß fand es Kleider mit Gold und Juwelen besetzt, so herrlich, wie sie keine Königstochter hat. Also lebte es da eine
zum Abend, da ſetzte es ſich unter einen Baum, befahl ſich Gott und wollt’ da ſitzen bleiben und nicht weggehen, moͤchte geſchehen, was immer wollte. Als es aber ein Bischen da geſeſſen, kam ein weiß Taͤubchen heruntergeflogen, mit einem kleinen goldnen Schluͤſſelchen im Schnabel, das legte es ihm in die Hand und ſprach: „ſiehſt du dort den großen Baum, daran iſt ein kleines Schloß, das ſchließ mit dem Schluͤſſelchen auf, ſo wirſt du Speiſe genug finden und keinen Hun- ger mehr leiden.“ Da ging es zu dem Baum und ſchloß ihn auf und fand Milch in einem klei- nen Schuͤſſelchen und Weißbrot zum Einbrocken dabei, daß es ſich ſatt eſſen konnte. Als es ſatt war, ſprach es: „jetzt iſt Zeit, wo die Huͤhner daheim auffliegen, ich bin ſo muͤd’, koͤnnt’ ich mich auch in mein Bett legen!“ Da kam das Taͤubchen wiedergeflogen und hatt’ ein anderes gol- denes Schluͤſſelchen im Schnabel und ſagt: „ſchließ dort den Baum auf, da wirſt du ein Bett finden. Da ſchloß es auf und fand ein ſchoͤnes weiches Bettchen, da betete es zum lieben Gott, er ſollt’ es behuͤten in der Nacht, legte ſich und ſchlief ein. Am Morgen kam das Taͤubchen zum drittenmal und brachte wieder ein Schluͤſſelchen und ſprach: „ſchließ dort den Baum auf, da wirſt du Kleider finden;“ und wie es aufſchloß fand es Kleider mit Gold und Juwelen beſetzt, ſo herrlich, wie ſie keine Koͤnigstochter hat. Alſo lebte es da eine
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zum Abend, da ſetzte es ſich unter einen Baum,
befahl ſich Gott und wollt’ da ſitzen bleiben und
nicht weggehen, moͤchte geſchehen, was immer
wollte. Als es aber ein Bischen da geſeſſen, kam
ein weiß Taͤubchen heruntergeflogen, mit einem
kleinen goldnen Schluͤſſelchen im Schnabel, das
legte es ihm in die Hand und ſprach: „ſiehſt du
dort den großen Baum, daran iſt ein kleines
Schloß, das ſchließ mit dem Schluͤſſelchen auf,
ſo wirſt du Speiſe genug finden und keinen Hun-
ger mehr leiden.“ Da ging es zu dem Baum
und ſchloß ihn auf und fand Milch in einem klei-
nen Schuͤſſelchen und Weißbrot zum Einbrocken
dabei, daß es ſich ſatt eſſen konnte. Als es ſatt
war, ſprach es: „jetzt iſt Zeit, wo die Huͤhner
daheim auffliegen, ich bin ſo muͤd’, koͤnnt’ ich
mich auch in mein Bett legen!“ Da kam das
Taͤubchen wiedergeflogen und hatt’ ein anderes gol-
denes Schluͤſſelchen im Schnabel und ſagt: „ſchließ
dort den Baum auf, da wirſt du ein Bett finden.
Da ſchloß es auf und fand ein ſchoͤnes weiches
Bettchen, da betete es zum lieben Gott, er ſollt’
es behuͤten in der Nacht, legte ſich und ſchlief ein.
Am Morgen kam das Taͤubchen zum drittenmal
und brachte wieder ein Schluͤſſelchen und ſprach:
„ſchließ dort den Baum auf, da wirſt du Kleider
finden;“ und wie es aufſchloß fand es Kleider
mit Gold und Juwelen beſetzt, ſo herrlich, wie
ſie keine Koͤnigstochter hat. Alſo lebte es da eine
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/215>, abgerufen am 22.12.2024.
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