Zeitlang, und kam das Täubchen alle Tage und sorgte für alles, was es bedurfte, und war das ein stilles, gutes Leben.
Einmal aber kam das Täubchen und sprach: "willst du mir etwas zu Lieb' thun?" -- "Von Herzen gern," sagte das Mädchen. Da sprach das Täubchen: "ich will dich zu einem kleinen Häuschen führen, da geh' hinein, mittendrin am Heerd da wird eine alte Frau sitzen und guten Tag sagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort, sie mag auch anfangen was sie will, sondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da ist eine Thüre, die mach auf, so wirst du in eine Stube kommen, wo eine große Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tisch liegt, darunter sind prächtige mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen und such nur einen schlichten heraus, der auch darunter seyn muß und bring ihn zu mir her so geschwind du kannst." "Da ging das Mädchen hin in das Häuschen und fand die Alte, die machte große Augen, wie sie es sah, und sprach: "guten Tag mein Kind." Es gab ihr keine Antwort und ging auf die Thüre zu; "ei! wo hinaus?" rief sie und faßt es beim Rock und wollt es fest- halten; "das ist mein Haus, da darf niemand herein, wenn ich's nicht haben will." Aber es schwieg immer still, machte sich von ihr los und ging in die Stube hinein. Da war nun eine übergroße Menge von Ringen, die glitzten und
N 2
Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das ein ſtilles, gutes Leben.
Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach: „willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“ — „Von Herzen gern,“ ſagte das Maͤdchen. Da ſprach das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort, ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre, die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen, wo eine große Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo geſchwind du kannſt.“ „Da ging das Maͤdchen hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“ rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt- halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und ging in die Stube hinein. Da war nun eine uͤbergroße Menge von Ringen, die glitzten und
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="195"/>
Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und<lb/>ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das<lb/>
ein ſtilles, gutes Leben.</p><lb/><p>Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach:<lb/>„willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“—„Von<lb/>
Herzen gern,“ſagte das Maͤdchen. Da ſprach<lb/>
das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen<lb/>
Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am<lb/>
Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten<lb/>
Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort,<lb/>ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh<lb/>
zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre,<lb/>
die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen,<lb/>
wo eine große Menge von Ringen allerlei<lb/>
Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige<lb/>
mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen<lb/>
und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch<lb/>
darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo<lb/>
geſchwind du kannſt.“„Da ging das Maͤdchen<lb/>
hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte<lb/>
große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten<lb/>
Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort<lb/>
und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“<lb/>
rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt-<lb/>
halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand<lb/>
herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es<lb/>ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und<lb/>
ging in die Stube hinein. Da war nun eine<lb/>
uͤbergroße Menge von Ringen, die glitzten und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[195/0216]
Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und
ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das
ein ſtilles, gutes Leben.
Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach:
„willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“ — „Von
Herzen gern,“ ſagte das Maͤdchen. Da ſprach
das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen
Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am
Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten
Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort,
ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh
zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre,
die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen,
wo eine große Menge von Ringen allerlei
Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige
mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen
und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch
darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo
geſchwind du kannſt.“ „Da ging das Maͤdchen
hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte
große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten
Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort
und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“
rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt-
halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand
herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es
ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und
ging in die Stube hinein. Da war nun eine
uͤbergroße Menge von Ringen, die glitzten und
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/216>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.