Es war ein Mann, der hatte drei Söhne und weiter nichts im Vermögen, als sein Haus, worin er wohnte. Nun hätte jeder gern nach seinem Tod das Haus gehabt, dem Vater war aber einer so lieb, als der andere, da wußt er gar nicht, wie er's anfangen sollte, daß er keinem zu nahe thät; verkaufen wollt' er das Haus auch nicht, weil's von seinen Voreltern war, sonst hätte er das Geld unter sie getheilt. Da fiel ihm endlich ein Rath ein und er sprach zu seinen Söh- nen: "geht in die Welt und versucht euch und lerne jeder ein Handwerk, wenn ihr dann wieder- kommt, wer das beste Meisterstück macht, der soll das Haus haben."
Das waren die Söhne zufrieden und der ältste wollte ein Hufschmied, der zweite ein Bar- bier, der dritte aber ein Fechtmeister werden. Darauf bestimmten sie eine Zeit, wo sie wieder nach Haus zusammenkommen wollten und zogen fort. Es traf sich auch, daß jeder einen tüchti- gen Meister fand, wo er was rechtschaffenes lernte; der Schmied mußte des Königs Pferde beschlagen und dachte: "nun kann dir's nicht feh- len, du kriegst das Haus;" der Barbier rasirte lauter vornehme Herrn und meinte auch, das
38. Die drei Bruͤder.
Es war ein Mann, der hatte drei Soͤhne und weiter nichts im Vermoͤgen, als ſein Haus, worin er wohnte. Nun haͤtte jeder gern nach ſeinem Tod das Haus gehabt, dem Vater war aber einer ſo lieb, als der andere, da wußt er gar nicht, wie er’s anfangen ſollte, daß er keinem zu nahe thaͤt; verkaufen wollt’ er das Haus auch nicht, weil’s von ſeinen Voreltern war, ſonſt haͤtte er das Geld unter ſie getheilt. Da fiel ihm endlich ein Rath ein und er ſprach zu ſeinen Soͤh- nen: „geht in die Welt und verſucht euch und lerne jeder ein Handwerk, wenn ihr dann wieder- kommt, wer das beſte Meiſterſtuͤck macht, der ſoll das Haus haben.“
Das waren die Soͤhne zufrieden und der aͤltſte wollte ein Hufſchmied, der zweite ein Bar- bier, der dritte aber ein Fechtmeiſter werden. Darauf beſtimmten ſie eine Zeit, wo ſie wieder nach Haus zuſammenkommen wollten und zogen fort. Es traf ſich auch, daß jeder einen tuͤchti- gen Meiſter fand, wo er was rechtſchaffenes lernte; der Schmied mußte des Koͤnigs Pferde beſchlagen und dachte: „nun kann dir’s nicht feh- len, du kriegſt das Haus;“ der Barbier raſirte lauter vornehme Herrn und meinte auch, das
<TEI><text><body><pbfacs="#f0218"n="197"/><divn="1"><head>38.<lb/><hirendition="#g">Die drei Bruͤder</hi>.</head><lb/><p>Es war ein Mann, der hatte drei Soͤhne<lb/>
und weiter nichts im Vermoͤgen, als ſein Haus,<lb/>
worin er wohnte. Nun haͤtte jeder gern nach<lb/>ſeinem Tod das Haus gehabt, dem Vater war<lb/>
aber einer ſo lieb, als der andere, da wußt er<lb/>
gar nicht, wie er’s anfangen ſollte, daß er keinem<lb/>
zu nahe thaͤt; verkaufen wollt’ er das Haus auch<lb/>
nicht, weil’s von ſeinen Voreltern war, ſonſt<lb/>
haͤtte er das Geld unter ſie getheilt. Da fiel ihm<lb/>
endlich ein Rath ein und er ſprach zu ſeinen Soͤh-<lb/>
nen: „geht in die Welt und verſucht euch und<lb/>
lerne jeder ein Handwerk, wenn ihr dann wieder-<lb/>
kommt, wer das beſte Meiſterſtuͤck macht, der ſoll<lb/>
das Haus haben.“</p><lb/><p>Das waren die Soͤhne zufrieden und der<lb/>
aͤltſte wollte ein Hufſchmied, der zweite ein Bar-<lb/>
bier, der dritte aber ein Fechtmeiſter werden.<lb/>
Darauf beſtimmten ſie eine Zeit, wo ſie wieder<lb/>
nach Haus zuſammenkommen wollten und zogen<lb/>
fort. Es traf ſich auch, daß jeder einen tuͤchti-<lb/>
gen Meiſter fand, wo er was rechtſchaffenes<lb/>
lernte; der Schmied mußte des Koͤnigs Pferde<lb/>
beſchlagen und dachte: „nun kann dir’s nicht feh-<lb/>
len, du kriegſt das Haus;“ der Barbier raſirte<lb/>
lauter vornehme Herrn und meinte auch, das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0218]
38.
Die drei Bruͤder.
Es war ein Mann, der hatte drei Soͤhne
und weiter nichts im Vermoͤgen, als ſein Haus,
worin er wohnte. Nun haͤtte jeder gern nach
ſeinem Tod das Haus gehabt, dem Vater war
aber einer ſo lieb, als der andere, da wußt er
gar nicht, wie er’s anfangen ſollte, daß er keinem
zu nahe thaͤt; verkaufen wollt’ er das Haus auch
nicht, weil’s von ſeinen Voreltern war, ſonſt
haͤtte er das Geld unter ſie getheilt. Da fiel ihm
endlich ein Rath ein und er ſprach zu ſeinen Soͤh-
nen: „geht in die Welt und verſucht euch und
lerne jeder ein Handwerk, wenn ihr dann wieder-
kommt, wer das beſte Meiſterſtuͤck macht, der ſoll
das Haus haben.“
Das waren die Soͤhne zufrieden und der
aͤltſte wollte ein Hufſchmied, der zweite ein Bar-
bier, der dritte aber ein Fechtmeiſter werden.
Darauf beſtimmten ſie eine Zeit, wo ſie wieder
nach Haus zuſammenkommen wollten und zogen
fort. Es traf ſich auch, daß jeder einen tuͤchti-
gen Meiſter fand, wo er was rechtſchaffenes
lernte; der Schmied mußte des Koͤnigs Pferde
beſchlagen und dachte: „nun kann dir’s nicht feh-
len, du kriegſt das Haus;“ der Barbier raſirte
lauter vornehme Herrn und meinte auch, das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/218>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.