und sagte, man sollt's in's Wasser werfen, da- mit's die Fische fräßen. Der König aber sprach: "nein, hat Gott ihn gegeben, soll er auch mein Sohn und Erbe seyn, nach meinem Tod auf dem königlichen Thron sitzen und die königliche Krone tragen." Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu und die Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und gerad' hinauf. Es war aber sonst fröh- licher Art, sprang herum, spielte und hatte be- sonders seine Lust an der Musik, so daß es zu ei- nem berühmten Spielmann ging und sprach: "lehr' mich deine Kunst, daß ich so gut die Laute schlagen kann, wie du." "Ach, liebes Herrlein, antwortete der Spielmann, das sollt' euch schwer fallen, eure Finger sind nicht allerdings dazu ge- macht, und gar zu groß; ich sorg', die Saiten haltens nicht aus." Es half aber keine Ausrede, das Eselein wollt' und mußt' die Laute schlagen, war beharrlich und fleißig, und lernte es am Ende so gut, als sein Meister selber. Einmal ging es nachdenksam spatziren und kam an einen Brunnen, da schaute es hinein und sah im spiegelhellen Was- ser seine Eseleins-Gestalt, darüber ward es so betrübt, daß es in die Welt hineinging und nur einen treuen Gesellen mitnahm. Sie zogen auf und ab, zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur eine einzige aber wunderschöne Tochter hatte. Das Eselein sagte: "hier wollen wir weilen," klopfte an's Thor und
und ſagte, man ſollt’s in’s Waſſer werfen, da- mit’s die Fiſche fraͤßen. Der Koͤnig aber ſprach: „nein, hat Gott ihn gegeben, ſoll er auch mein Sohn und Erbe ſeyn, nach meinem Tod auf dem koͤniglichen Thron ſitzen und die koͤnigliche Krone tragen.“ Alſo ward das Eſelein aufgezogen, nahm zu und die Ohren wuchſen ihm auch fein hoch und gerad’ hinauf. Es war aber ſonſt froͤh- licher Art, ſprang herum, ſpielte und hatte be- ſonders ſeine Luſt an der Muſik, ſo daß es zu ei- nem beruͤhmten Spielmann ging und ſprach: „lehr’ mich deine Kunſt, daß ich ſo gut die Laute ſchlagen kann, wie du.“ „Ach, liebes Herrlein, antwortete der Spielmann, das ſollt’ euch ſchwer fallen, eure Finger ſind nicht allerdings dazu ge- macht, und gar zu groß; ich ſorg’, die Saiten haltens nicht aus.“ Es half aber keine Ausrede, das Eſelein wollt’ und mußt’ die Laute ſchlagen, war beharrlich und fleißig, und lernte es am Ende ſo gut, als ſein Meiſter ſelber. Einmal ging es nachdenkſam ſpatziren und kam an einen Brunnen, da ſchaute es hinein und ſah im ſpiegelhellen Waſ- ſer ſeine Eſeleins-Geſtalt, daruͤber ward es ſo betruͤbt, daß es in die Welt hineinging und nur einen treuen Geſellen mitnahm. Sie zogen auf und ab, zuletzt kamen ſie in ein Reich, wo ein alter Koͤnig herrſchte, der nur eine einzige aber wunderſchoͤne Tochter hatte. Das Eſelein ſagte: „hier wollen wir weilen,“ klopfte an’s Thor und
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und ſagte, man ſollt’s in’s Waſſer werfen, da-
mit’s die Fiſche fraͤßen. Der Koͤnig aber ſprach:
„nein, hat Gott ihn gegeben, ſoll er auch mein
Sohn und Erbe ſeyn, nach meinem Tod auf dem
koͤniglichen Thron ſitzen und die koͤnigliche Krone
tragen.“ Alſo ward das Eſelein aufgezogen,
nahm zu und die Ohren wuchſen ihm auch fein
hoch und gerad’ hinauf. Es war aber ſonſt froͤh-
licher Art, ſprang herum, ſpielte und hatte be-
ſonders ſeine Luſt an der Muſik, ſo daß es zu ei-
nem beruͤhmten Spielmann ging und ſprach:
„lehr’ mich deine Kunſt, daß ich ſo gut die Laute
ſchlagen kann, wie du.“ „Ach, liebes Herrlein,
antwortete der Spielmann, das ſollt’ euch ſchwer
fallen, eure Finger ſind nicht allerdings dazu ge-
macht, und gar zu groß; ich ſorg’, die Saiten
haltens nicht aus.“ Es half aber keine Ausrede,
das Eſelein wollt’ und mußt’ die Laute ſchlagen,
war beharrlich und fleißig, und lernte es am Ende
ſo gut, als ſein Meiſter ſelber. Einmal ging es
nachdenkſam ſpatziren und kam an einen Brunnen,
da ſchaute es hinein und ſah im ſpiegelhellen Waſ-
ſer ſeine Eſeleins-Geſtalt, daruͤber ward es ſo
betruͤbt, daß es in die Welt hineinging und nur
einen treuen Geſellen mitnahm. Sie zogen auf
und ab, zuletzt kamen ſie in ein Reich, wo ein
alter Koͤnig herrſchte, der nur eine einzige aber
wunderſchoͤne Tochter hatte. Das Eſelein ſagte:
„hier wollen wir weilen,“ klopfte an’s Thor und
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/298>, abgerufen am 23.12.2024.
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