macht sich wieder die ganze Gemeinde auf, ihn zu greifen, er aber, weil kein Thor da ist, das er ver- rammeln kann, springt in einen Brunnen. Nun stellt sich die Gemeinde herum und rathschlagt, sie beschließen endlich ihm einen Mühlstein auf den Kopf zu werfen. Mit großer Mühe wird einer her- beigeholt und hinabgerollt, wie sie meinen, er wär todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen, den hat er durch das Loch des Steins gesteckt, so daß dieser ihm auf den Schultern hängt, wobei er ruft: "ach! was hab ich einen schönen Düten-Kragen!" Wie sie das sehen, rathschlagen sie von neuem, und schicken dann hin und lassen ihre große Klocke aus dem Kirchthurm holen, und werfen sie auf ihn hinab, die sollt ihn gewiß treffen (gerade wie beim Riesen Scharmack). Wie sie nun meinen, er liege unten erschlagen und gehen aus einander, kommt er auf einmal aus dem Brunnen gesprungen, hat die Klocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig: "ach! was eine schöne Bingelmütze!" und lauft davon.
5. Dat Erdmänneken.
(Aus dem Paderbörn.) Eine andere Recension aus der Gegend von Cöln am Rhein weicht in eini- gem ab. Ein mächtiger König hat drei schöne Töch- ter; einmal, bei einem herrlichen Fest, gehen sie in den Garten spaziren und kommen Abends nicht wie- der; und als sie am andern Tag auch noch ausblei- ben, läßt sie der König durchs ganze Reich suchen, aber niemand kann sie finden: da macht er bekannt, wer sie wiederbrächte, sollte eine zur Gemahlin haben, und Reichthümer dazu für sein Lebelang. Viele zie- hen aus aber umsonst, zuletzt machen sich drei Rit- ter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es ihnen geglückt. Sie gerathen in einen großen Wald, wo sie den ganzen Tag hungrig und durstig fortrei- ten, endlich sehen sie in der Nacht ein Lichtlein, das sie zu einem prächtigen Schloß leitet, worin aber kein Mensch zu sehen ist. Weil sie so hungrig sind, suchen sie nach Speise, einer findet ein Stück
macht ſich wieder die ganze Gemeinde auf, ihn zu greifen, er aber, weil kein Thor da iſt, das er ver- rammeln kann, ſpringt in einen Brunnen. Nun ſtellt ſich die Gemeinde herum und rathſchlagt, ſie beſchließen endlich ihm einen Muͤhlſtein auf den Kopf zu werfen. Mit großer Muͤhe wird einer her- beigeholt und hinabgerollt, wie ſie meinen, er waͤr todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen, den hat er durch das Loch des Steins geſteckt, ſo daß dieſer ihm auf den Schultern haͤngt, wobei er ruft: „ach! was hab ich einen ſchoͤnen Duͤten-Kragen!“ Wie ſie das ſehen, rathſchlagen ſie von neuem, und ſchicken dann hin und laſſen ihre große Klocke aus dem Kirchthurm holen, und werfen ſie auf ihn hinab, die ſollt ihn gewiß treffen (gerade wie beim Rieſen Scharmack). Wie ſie nun meinen, er liege unten erſchlagen und gehen aus einander, kommt er auf einmal aus dem Brunnen geſprungen, hat die Klocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig: „ach! was eine ſchoͤne Bingelmuͤtze!“ und lauft davon.
5. Dat Erdmaͤnneken.
(Aus dem Paderboͤrn.) Eine andere Recenſion aus der Gegend von Coͤln am Rhein weicht in eini- gem ab. Ein maͤchtiger Koͤnig hat drei ſchoͤne Toͤch- ter; einmal, bei einem herrlichen Feſt, gehen ſie in den Garten ſpaziren und kommen Abends nicht wie- der; und als ſie am andern Tag auch noch ausblei- ben, laͤßt ſie der Koͤnig durchs ganze Reich ſuchen, aber niemand kann ſie finden: da macht er bekannt, wer ſie wiederbraͤchte, ſollte eine zur Gemahlin haben, und Reichthuͤmer dazu fuͤr ſein Lebelang. Viele zie- hen aus aber umſonſt, zuletzt machen ſich drei Rit- ter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es ihnen gegluͤckt. Sie gerathen in einen großen Wald, wo ſie den ganzen Tag hungrig und durſtig fortrei- ten, endlich ſehen ſie in der Nacht ein Lichtlein, das ſie zu einem praͤchtigen Schloß leitet, worin aber kein Menſch zu ſehen iſt. Weil ſie ſo hungrig ſind, ſuchen ſie nach Speiſe, einer findet ein Stuͤck
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0328"n="IX"/>
macht ſich wieder die ganze Gemeinde auf, ihn zu<lb/>
greifen, er aber, weil kein Thor da iſt, das er ver-<lb/>
rammeln kann, ſpringt in einen Brunnen. Nun<lb/>ſtellt ſich die Gemeinde herum und rathſchlagt, ſie<lb/>
beſchließen endlich ihm einen <hirendition="#g">Muͤhlſtein</hi> auf den<lb/>
Kopf zu werfen. Mit großer Muͤhe wird einer her-<lb/>
beigeholt und hinabgerollt, wie ſie meinen, er waͤr<lb/>
todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen,<lb/>
den hat er durch das Loch des Steins geſteckt, ſo daß<lb/>
dieſer ihm auf den Schultern haͤngt, wobei er ruft:<lb/>„ach! was hab ich einen ſchoͤnen Duͤten-Kragen!“<lb/>
Wie ſie das ſehen, rathſchlagen ſie von neuem, und<lb/>ſchicken dann hin und laſſen ihre <hirendition="#g">große Klocke</hi><lb/>
aus dem Kirchthurm holen, und werfen ſie auf ihn<lb/>
hinab, die ſollt ihn gewiß treffen (gerade wie beim<lb/>
Rieſen Scharmack). Wie ſie nun meinen, er liege<lb/>
unten erſchlagen und gehen aus einander, kommt er<lb/>
auf einmal aus dem Brunnen geſprungen, hat die<lb/>
Klocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig: „ach!<lb/>
was eine ſchoͤne Bingelmuͤtze!“ und lauft davon.</p></div><lb/><divn="2"><head>5.<lb/><hirendition="#g">Dat Erdmaͤnneken</hi>.</head><lb/><p>(Aus dem Paderboͤrn.) Eine andere Recenſion<lb/>
aus der Gegend von Coͤln am Rhein weicht in eini-<lb/>
gem ab. Ein maͤchtiger Koͤnig hat drei ſchoͤne Toͤch-<lb/>
ter; einmal, bei einem herrlichen Feſt, gehen ſie in<lb/>
den Garten ſpaziren und kommen Abends nicht wie-<lb/>
der; und als ſie am andern Tag auch noch ausblei-<lb/>
ben, laͤßt ſie der Koͤnig durchs ganze Reich ſuchen,<lb/>
aber niemand kann ſie finden: da macht er bekannt, wer<lb/>ſie wiederbraͤchte, ſollte eine zur Gemahlin haben,<lb/>
und Reichthuͤmer dazu fuͤr ſein Lebelang. Viele zie-<lb/>
hen aus aber umſonſt, zuletzt machen ſich drei Rit-<lb/>
ter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es<lb/>
ihnen gegluͤckt. Sie gerathen in einen großen Wald,<lb/>
wo ſie den ganzen Tag hungrig und durſtig fortrei-<lb/>
ten, endlich ſehen ſie in der Nacht ein <hirendition="#g">Lichtlein</hi>,<lb/>
das ſie zu einem praͤchtigen Schloß leitet, worin<lb/>
aber kein Menſch zu ſehen iſt. Weil ſie ſo hungrig<lb/>ſind, ſuchen ſie nach Speiſe, einer findet ein Stuͤck<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[IX/0328]
macht ſich wieder die ganze Gemeinde auf, ihn zu
greifen, er aber, weil kein Thor da iſt, das er ver-
rammeln kann, ſpringt in einen Brunnen. Nun
ſtellt ſich die Gemeinde herum und rathſchlagt, ſie
beſchließen endlich ihm einen Muͤhlſtein auf den
Kopf zu werfen. Mit großer Muͤhe wird einer her-
beigeholt und hinabgerollt, wie ſie meinen, er waͤr
todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen,
den hat er durch das Loch des Steins geſteckt, ſo daß
dieſer ihm auf den Schultern haͤngt, wobei er ruft:
„ach! was hab ich einen ſchoͤnen Duͤten-Kragen!“
Wie ſie das ſehen, rathſchlagen ſie von neuem, und
ſchicken dann hin und laſſen ihre große Klocke
aus dem Kirchthurm holen, und werfen ſie auf ihn
hinab, die ſollt ihn gewiß treffen (gerade wie beim
Rieſen Scharmack). Wie ſie nun meinen, er liege
unten erſchlagen und gehen aus einander, kommt er
auf einmal aus dem Brunnen geſprungen, hat die
Klocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig: „ach!
was eine ſchoͤne Bingelmuͤtze!“ und lauft davon.
5.
Dat Erdmaͤnneken.
(Aus dem Paderboͤrn.) Eine andere Recenſion
aus der Gegend von Coͤln am Rhein weicht in eini-
gem ab. Ein maͤchtiger Koͤnig hat drei ſchoͤne Toͤch-
ter; einmal, bei einem herrlichen Feſt, gehen ſie in
den Garten ſpaziren und kommen Abends nicht wie-
der; und als ſie am andern Tag auch noch ausblei-
ben, laͤßt ſie der Koͤnig durchs ganze Reich ſuchen,
aber niemand kann ſie finden: da macht er bekannt, wer
ſie wiederbraͤchte, ſollte eine zur Gemahlin haben,
und Reichthuͤmer dazu fuͤr ſein Lebelang. Viele zie-
hen aus aber umſonſt, zuletzt machen ſich drei Rit-
ter auf den Weg und wollen nicht ruhen, als bis es
ihnen gegluͤckt. Sie gerathen in einen großen Wald,
wo ſie den ganzen Tag hungrig und durſtig fortrei-
ten, endlich ſehen ſie in der Nacht ein Lichtlein,
das ſie zu einem praͤchtigen Schloß leitet, worin
aber kein Menſch zu ſehen iſt. Weil ſie ſo hungrig
ſind, ſuchen ſie nach Speiſe, einer findet ein Stuͤck
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/328>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.