I. (Aus Hessen und an mehreren Orten gehört.) Offenbaren Zusammenhang damit hat eine Erzäh- lung der Gesta Romanorum Cap. 68. Ein Ritter wird arm und ist darüber traurig. Da fängt eine Natter, die lang im Winkel seiner Kammer gelebt, zu sprechen an und sagt: "gib mir alle Tage Milch und setze sie mir selber her, so will ich dich reich ma- chen." Der Ritter bringt ihr nun alle Tage die Milch und in kurzer Zeit wird er wieder reich. Des Ritters dumme Frau räth aber zum Tod der Natter, um der Schätze willen, die wohl in ihrem Lager sich fänden. Der Ritter nimmt also eine Schüs- sel Milch in die eine Hand, einen Hammer in die an- dere und bringts der Natter, die schlüpft aus ihrer Höhle sich daran zu erlaben. Wie sie nun trinkt, hebt er den Hammer, trifft sie aber nicht, sondern schlägt gewaltig in die Schüssel; worauf sie alsbald forteilt. Von dem Tag an nimmt er an Leib und an Gut ab, wie er vorher daran zugenom- men hat. Er bittet sie wieder um Gnade, aber sie spricht: "meinst du, daß ich des Schlags vergessen, den die Schüssel an meines Hauptes statt empfan- gen, zwischen uns ist kein Frieden." Da bleibt der Ritter in Armuth sein Lebelang.
II. (aus Hessen.) Die Sage von den Kronen (Feuerteppichen) welche die Schlangen (Salamander) weben, ist bekannt.
III. (aus Berlin.)
20. Der Müller mit dem Kätzchen.
(Aus Zwehrn.) In eigener Zierlichkeit das Mär- chen von dem glücklich gewordenen Dummling, s. Anmerkung zu I. 64. Die andern Müllersburschen bringen mit Fleiß und aus großer Verachtung des Dummlings lahme und scheele Pferde, wie die zwei ältesten Königssöhne grobe Leinwand und häßliche Weiber.
19. Maͤrchen von der Unke.
I. (Aus Heſſen und an mehreren Orten gehoͤrt.) Offenbaren Zuſammenhang damit hat eine Erzaͤh- lung der Geſta Romanorum Cap. 68. Ein Ritter wird arm und iſt daruͤber traurig. Da faͤngt eine Natter, die lang im Winkel ſeiner Kammer gelebt, zu ſprechen an und ſagt: „gib mir alle Tage Milch und ſetze ſie mir ſelber her, ſo will ich dich reich ma- chen.“ Der Ritter bringt ihr nun alle Tage die Milch und in kurzer Zeit wird er wieder reich. Des Ritters dumme Frau raͤth aber zum Tod der Natter, um der Schaͤtze willen, die wohl in ihrem Lager ſich faͤnden. Der Ritter nimmt alſo eine Schuͤſ- ſel Milch in die eine Hand, einen Hammer in die an- dere und bringts der Natter, die ſchluͤpft aus ihrer Hoͤhle ſich daran zu erlaben. Wie ſie nun trinkt, hebt er den Hammer, trifft ſie aber nicht, ſondern ſchlaͤgt gewaltig in die Schuͤſſel; worauf ſie alsbald forteilt. Von dem Tag an nimmt er an Leib und an Gut ab, wie er vorher daran zugenom- men hat. Er bittet ſie wieder um Gnade, aber ſie ſpricht: „meinſt du, daß ich des Schlags vergeſſen, den die Schuͤſſel an meines Hauptes ſtatt empfan- gen, zwiſchen uns iſt kein Frieden.“ Da bleibt der Ritter in Armuth ſein Lebelang.
II. (aus Heſſen.) Die Sage von den Kronen (Feuerteppichen) welche die Schlangen (Salamander) weben, iſt bekannt.
III. (aus Berlin.)
20. Der Muͤller mit dem Kaͤtzchen.
(Aus Zwehrn.) In eigener Zierlichkeit das Maͤr- chen von dem gluͤcklich gewordenen Dummling, ſ. Anmerkung zu I. 64. Die andern Muͤllersburſchen bringen mit Fleiß und aus großer Verachtung des Dummlings lahme und ſcheele Pferde, wie die zwei aͤlteſten Koͤnigsſoͤhne grobe Leinwand und haͤßliche Weiber.
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19.
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Offenbaren Zuſammenhang damit hat eine Erzaͤh-
lung der Geſta Romanorum Cap. 68. Ein Ritter
wird arm und iſt daruͤber traurig. Da faͤngt eine
Natter, die lang im Winkel ſeiner Kammer gelebt,
zu ſprechen an und ſagt: „gib mir alle Tage Milch
und ſetze ſie mir ſelber her, ſo will ich dich reich ma-
chen.“ Der Ritter bringt ihr nun alle Tage die
Milch und in kurzer Zeit wird er wieder reich. Des
Ritters dumme Frau raͤth aber zum Tod der
Natter, um der Schaͤtze willen, die wohl in ihrem
Lager ſich faͤnden. Der Ritter nimmt alſo eine Schuͤſ-
ſel Milch in die eine Hand, einen Hammer in die an-
dere und bringts der Natter, die ſchluͤpft aus ihrer
Hoͤhle ſich daran zu erlaben. Wie ſie nun trinkt,
hebt er den Hammer, trifft ſie aber nicht, ſondern
ſchlaͤgt gewaltig in die Schuͤſſel; worauf ſie alsbald
forteilt. Von dem Tag an nimmt er an Leib
und an Gut ab, wie er vorher daran zugenom-
men hat. Er bittet ſie wieder um Gnade, aber ſie
ſpricht: „meinſt du, daß ich des Schlags vergeſſen,
den die Schuͤſſel an meines Hauptes ſtatt empfan-
gen, zwiſchen uns iſt kein Frieden.“ Da bleibt der
Ritter in Armuth ſein Lebelang.
II. (aus Heſſen.) Die Sage von den Kronen
(Feuerteppichen) welche die Schlangen (Salamander)
weben, iſt bekannt.
III. (aus Berlin.)
20.
Der Muͤller mit dem Kaͤtzchen.
(Aus Zwehrn.) In eigener Zierlichkeit das Maͤr-
chen von dem gluͤcklich gewordenen Dummling, ſ.
Anmerkung zu I. 64. Die andern Muͤllersburſchen
bringen mit Fleiß und aus großer Verachtung des
Dummlings lahme und ſcheele Pferde, wie die zwei
aͤlteſten Koͤnigsſoͤhne grobe Leinwand und haͤßliche
Weiber.
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/343>, abgerufen am 23.12.2024.
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