Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

"Habt ihr dann so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen." Also mußte sie vor den König kommen; der fragte sie, ob sie dann so klug wäre? und sagte, er wollt' ihr ein Räthsel aufgeben, wann sie das treffen könnte, dann wollt' er sie heirathen. Da sprach sie ja, sie wollts errathen. Da sagte der König: "komm zu mir nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen." Da ging sie hin, und zog sich aus splinter nackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte sich hinein, da war sie nicht nackend, und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren, und mußte sie der Esel in der Fahrgleiße schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Weg. Und wie sie so daher kam, sagte der König, sie hätte das Räthsel getroffen und sey alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängniß und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.

Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche mit Ochsen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich an einen Wagen, wo zwei Ochsen davor

„Habt ihr dann so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.“ Also mußte sie vor den Koͤnig kommen; der fragte sie, ob sie dann so klug waͤre? und sagte, er wollt’ ihr ein Raͤthsel aufgeben, wann sie das treffen koͤnnte, dann wollt’ er sie heirathen. Da sprach sie ja, sie wollts errathen. Da sagte der Koͤnig: „komm zu mir nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen.“ Da ging sie hin, und zog sich aus splinter nackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte sich hinein, da war sie nicht nackend, und borgte einen Esel fuͤrs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren, und mußte sie der Esel in der Fahrgleiße schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Weg. Und wie sie so daher kam, sagte der Koͤnig, sie haͤtte das Raͤthsel getroffen und sey alles erfuͤllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefaͤngniß und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze koͤnigliche Gut an.

Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr Koͤnig einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche mit Ochsen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Fuͤllchen, das lief weg und legte sich an einen Wagen, wo zwei Ochsen davor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="55"/>
&#x201E;Habt ihr dann so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.&#x201C; Also mußte sie vor den Ko&#x0364;nig kommen; der fragte sie, ob sie dann so klug wa&#x0364;re? und sagte, er wollt&#x2019; ihr ein Ra&#x0364;thsel aufgeben, wann sie das treffen ko&#x0364;nnte, dann wollt&#x2019; er sie heirathen. Da sprach sie ja, sie wollts errathen. Da sagte der Ko&#x0364;nig: &#x201E;komm zu mir nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen.&#x201C; Da ging sie hin, und zog sich aus splinter nackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte sich hinein, da war sie nicht nackend, und borgte einen Esel fu&#x0364;rs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren, und mußte sie der Esel in der Fahrgleiße schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Weg. Und wie sie so daher kam, sagte der Ko&#x0364;nig, sie ha&#x0364;tte das Ra&#x0364;thsel getroffen und sey alles erfu&#x0364;llt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefa&#x0364;ngniß und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze ko&#x0364;nigliche Gut an.</p><lb/>
        <p>Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr Ko&#x0364;nig einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche mit Ochsen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Fu&#x0364;llchen, das lief weg und legte sich an einen Wagen, wo zwei Ochsen davor
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0133] „Habt ihr dann so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.“ Also mußte sie vor den Koͤnig kommen; der fragte sie, ob sie dann so klug waͤre? und sagte, er wollt’ ihr ein Raͤthsel aufgeben, wann sie das treffen koͤnnte, dann wollt’ er sie heirathen. Da sprach sie ja, sie wollts errathen. Da sagte der Koͤnig: „komm zu mir nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heirathen.“ Da ging sie hin, und zog sich aus splinter nackend, da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte sich hinein, da war sie nicht nackend, und borgte einen Esel fuͤrs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, daran er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren, und mußte sie der Esel in der Fahrgleiße schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Weg. Und wie sie so daher kam, sagte der Koͤnig, sie haͤtte das Raͤthsel getroffen und sey alles erfuͤllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefaͤngniß und nahm sie bei sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze koͤnigliche Gut an. Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr Koͤnig einmal auf die Parade zog, da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche mit Ochsen und etliche mit Pferden. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Fuͤllchen, das lief weg und legte sich an einen Wagen, wo zwei Ochsen davor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/133
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/133>, abgerufen am 21.11.2024.