Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.sie sagte ihm vielleicht, daß ihre Docke*) so hübsch wäre und ihre Nachtigall so schön sänge und so süßen Schall hätte. Er wußte etwa von seinem Habicht (Sprinzelin, falco cyaneus) zu sagen, wie er ihn habe steigen gesehen*). So saßen sie bei *) Docke ist der alte Name, und Puppe, (zunächst wahrscheinlich aus dem Französischen poupee eingeführt) findet sich vor dem 16. Jahrh. noch nicht. Die gloss. pez. hat mima, tohcha und die gerbertische p. 47. Dokka est simulacrum puellarum. Es heißt wie pupa, kore, eben sowohl eine Jungfrau, geschmücktes Mädchen (s. Stalder schweiz. Jdiotikon I. 236.), als ein ausgestopftes und bekleidetes Bild desselben. Ueber das lateinische pupa, poppea findet man Nachweisungen bei Ducange; es ist bekannt, daß die römischen, wie die heutigen Mädchen, schon Puppen hatten. womit sie als Kinder spielten und welche sie, sobald sie herangewachsen waren, der Venus opferten: tanquam virginitatis suae insignia, ut fauste futurum matrimonium cederet, wie sich Forcellini ausdrückt. Ob von daher die Docken geradezu gekommen, oder ob sie mit altheidnischen Lappenfiguren zusammenhangen, welche der Indiculus superstitionum simulacra de pannis facta nennt, darf um so eher unentschieden bleiben, als ja beide einen gemeinschaftlichen oder verwandten viel ältern Ursprung haben können. Es sind die kleinen wohlthätigen Wesen, deren Leben an das eines Menschen gebunden ist, dem sie daher willig und zugethan sich bezeigen. Eccard bemerkt bei der Erklärung des Indiculus (fr. orient. I. 436.), daß man in Wurzburg ein Kindergespenst Hullen-Pöpel nenne; das heiße der Frau Holle Puppe und zu der Ehre dieser Göttin seyen jene heidnischen Puppen verfertigt worden. An die Alraunen denkt er aber auch, und das läßt sich in sofern hören, als auch diesen pflegen Hemdlein angelegt zu werden (s. deutsche Sagen I. 136.) -- Eschenbach redet im Oranse (II. 16 a) von seiner mit der Docke spielenden Tochter und gedenkt ihrer auch im Parcifal 11009, 11802; für spätere Zeit ist Fischart anzuführen, der im Gargantua sagt, 74 a: "Und was ists Wunder, daß die Weiber so fein wissen mit ihren Ehegetrauten umzugehen, da sie es doch von Jugend auf mit Docken und Puppen spielsweise also gewohnen." *) Dies ist ein epischer Zug. Gerade so kommt er bei Ottokar von Horneck vor, S. 166 a.
sie sagte ihm vielleicht, daß ihre Docke*) so huͤbsch waͤre und ihre Nachtigall so schoͤn saͤnge und so suͤßen Schall haͤtte. Er wußte etwa von seinem Habicht (Sprinzelin, falco cyaneus) zu sagen, wie er ihn habe steigen gesehen*). So saßen sie bei *) Docke ist der alte Name, und Puppe, (zunaͤchst wahrscheinlich aus dem Franzoͤsischen poupée eingefuͤhrt) findet sich vor dem 16. Jahrh. noch nicht. Die gloss. pez. hat mima, tohcha und die gerbertische p. 47. Dokka est simulacrum puellarum. Es heißt wie pupa, κόρη, eben sowohl eine Jungfrau, geschmuͤcktes Maͤdchen (s. Stalder schweiz. Jdiotikon I. 236.), als ein ausgestopftes und bekleidetes Bild desselben. Ueber das lateinische pupa, poppea findet man Nachweisungen bei Ducange; es ist bekannt, daß die roͤmischen, wie die heutigen Maͤdchen, schon Puppen hatten. womit sie als Kinder spielten und welche sie, sobald sie herangewachsen waren, der Venus opferten: tanquam virginitatis suae insignia, ut fauste futurum matrimonium cederet, wie sich Forcellini ausdruͤckt. Ob von daher die Docken geradezu gekommen, oder ob sie mit altheidnischen Lappenfiguren zusammenhangen, welche der Indiculus superstitionum simulacra de pannis facta nennt, darf um so eher unentschieden bleiben, als ja beide einen gemeinschaftlichen oder verwandten viel aͤltern Ursprung haben koͤnnen. Es sind die kleinen wohlthaͤtigen Wesen, deren Leben an das eines Menschen gebunden ist, dem sie daher willig und zugethan sich bezeigen. Eccard bemerkt bei der Erklaͤrung des Indiculus (fr. orient. I. 436.), daß man in Wurzburg ein Kindergespenst Hullen-Poͤpel nenne; das heiße der Frau Holle Puppe und zu der Ehre dieser Goͤttin seyen jene heidnischen Puppen verfertigt worden. An die Alraunen denkt er aber auch, und das laͤßt sich in sofern hoͤren, als auch diesen pflegen Hemdlein angelegt zu werden (s. deutsche Sagen I. 136.) — Eschenbach redet im Oranse (II. 16 a) von seiner mit der Docke spielenden Tochter und gedenkt ihrer auch im Parcifal 11009, 11802; fuͤr spaͤtere Zeit ist Fischart anzufuͤhren, der im Gargantua sagt, 74 a: „Und was ists Wunder, daß die Weiber so fein wissen mit ihren Ehegetrauten umzugehen, da sie es doch von Jugend auf mit Docken und Puppen spielsweise also gewohnen.“ *) Dies ist ein epischer Zug. Gerade so kommt er bei Ottokar von Horneck vor, S. 166 a.
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*) Docke ist der alte Name, und Puppe, (zunaͤchst wahrscheinlich aus dem Franzoͤsischen poupée eingefuͤhrt) findet sich vor dem 16. Jahrh. noch nicht. Die gloss. pez. hat mima, tohcha und die gerbertische p. 47. Dokka est simulacrum puellarum. Es heißt wie pupa, κόρη, eben sowohl eine Jungfrau, geschmuͤcktes Maͤdchen (s. Stalder schweiz. Jdiotikon I. 236.), als ein ausgestopftes und bekleidetes Bild desselben. Ueber das lateinische pupa, poppea findet man Nachweisungen bei Ducange; es ist bekannt, daß die roͤmischen, wie die heutigen Maͤdchen, schon Puppen hatten. womit sie als Kinder spielten und welche sie, sobald sie herangewachsen waren, der Venus opferten: tanquam virginitatis suae insignia, ut fauste futurum matrimonium cederet, wie sich Forcellini ausdruͤckt. Ob von daher die Docken geradezu gekommen, oder ob sie mit altheidnischen Lappenfiguren zusammenhangen, welche der Indiculus superstitionum simulacra de pannis facta nennt, darf um so eher unentschieden bleiben, als ja beide einen gemeinschaftlichen oder verwandten viel aͤltern Ursprung haben koͤnnen. Es sind die kleinen wohlthaͤtigen Wesen, deren Leben an das eines Menschen gebunden ist, dem sie daher willig und zugethan sich bezeigen. Eccard bemerkt bei der Erklaͤrung des Indiculus (fr. orient. I. 436.), daß man in Wurzburg ein Kindergespenst Hullen-Poͤpel nenne; das heiße der Frau Holle Puppe und zu der Ehre dieser Goͤttin seyen jene heidnischen Puppen verfertigt worden. An die Alraunen denkt er aber auch, und das laͤßt sich in sofern hoͤren, als auch diesen pflegen Hemdlein angelegt zu werden (s. deutsche Sagen I. 136.) — Eschenbach redet im Oranse (II. 16 a) von seiner mit der Docke spielenden Tochter und gedenkt ihrer auch im Parcifal 11009, 11802; fuͤr spaͤtere Zeit ist Fischart anzufuͤhren, der im Gargantua sagt, 74 a: „Und was ists Wunder, daß die Weiber so fein wissen mit ihren Ehegetrauten umzugehen, da sie es doch von Jugend auf mit Docken und Puppen spielsweise also gewohnen.“
*) Dies ist ein epischer Zug. Gerade so kommt er bei Ottokar von Horneck vor, S. 166 a.
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.
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