Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.hinter das finstere Thor und hörte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd und der Gänsejung die Heerde getrieben brachten und nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder: weh'! weh'! Windchen,
fass' Kürdchen sein Hütchen und laß'n sich mit jagen, bis daß ich mich geflochten und geschnatzt und wieder aufgesatzt. Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zurück und als Abends die Gänsemagd heim kam, rief er sie bei Seite und fragte: "warum sie dem allem so thäte?" "Das darf ich euch und keinem Menschen nicht sagen, denn so hab' ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben wäre gekommen." Er aber drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, "willst du mir's nicht erzählen," sagte der alte König endlich, "so darfst du's doch dem Kachelofen erzählen." "Ja, das will ich wohl" antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen und schüttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie sie von der bösen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben hinter das finstere Thor und hoͤrte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gaͤnsemagd und der Gaͤnsejung die Heerde getrieben brachten und nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder: weh’! weh’! Windchen,
fass’ Kuͤrdchen sein Huͤtchen und laß’n sich mit jagen, bis daß ich mich geflochten und geschnatzt und wieder aufgesatzt. Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kuͤrdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die Gaͤnsemagd heim kam, rief er sie bei Seite und fragte: „warum sie dem allem so thaͤte?“ „Das darf ich euch und keinem Menschen nicht sagen, denn so hab’ ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben waͤre gekommen.“ Er aber drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, „willst du mir’s nicht erzaͤhlen,“ sagte der alte Koͤnig endlich, „so darfst du’s doch dem Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“ antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen und schuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie sie von der boͤsen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="20"/> hinter das finstere Thor und hoͤrte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gaͤnsemagd und der Gaͤnsejung die Heerde getrieben brachten und nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>weh’! weh’! Windchen,</l><lb/> <l>fass’ Kuͤrdchen sein Huͤtchen</l><lb/> <l>und laß’n sich mit jagen,</l><lb/> <l>bis daß ich mich geflochten und geschnatzt</l><lb/> <l>und wieder aufgesatzt.</l><lb/> </lg> <p>Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kuͤrdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die Gaͤnsemagd heim kam, rief er sie bei Seite und fragte: „warum sie dem allem so thaͤte?“ „Das darf ich euch und keinem Menschen nicht sagen, denn so hab’ ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben waͤre gekommen.“ Er aber drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, „willst du mir’s nicht erzaͤhlen,“ sagte der alte Koͤnig endlich, „so darfst du’s doch dem Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“ antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen und schuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie sie von der boͤsen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben </p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0098]
hinter das finstere Thor und hoͤrte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gaͤnsemagd und der Gaͤnsejung die Heerde getrieben brachten und nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:
weh’! weh’! Windchen,
fass’ Kuͤrdchen sein Huͤtchen
und laß’n sich mit jagen,
bis daß ich mich geflochten und geschnatzt
und wieder aufgesatzt.
Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kuͤrdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kaͤmmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte Koͤnig alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zuruͤck und als Abends die Gaͤnsemagd heim kam, rief er sie bei Seite und fragte: „warum sie dem allem so thaͤte?“ „Das darf ich euch und keinem Menschen nicht sagen, denn so hab’ ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben waͤre gekommen.“ Er aber drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, „willst du mir’s nicht erzaͤhlen,“ sagte der alte Koͤnig endlich, „so darfst du’s doch dem Kachelofen erzaͤhlen.“ „Ja, das will ich wohl“ antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen und schuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie es ihr bis dahin ergangen und wie sie von der boͤsen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben
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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.
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