Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Auch konnte er es ihm nicht abschlagen, wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief 'au weih! au weih! bindet mich an, bindet mich fest.' Da nahm der gute Knecht seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich that, fieng alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber, und die Gerichtsdiener, und dem, welcher den Juden festbinden wollte, fiel der Strick aus der Hand; beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los, und machte sich zum Tanze fertig; bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe, und fieng an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorne, und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbei gekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße, und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die Köpfe stießen, und anfiengen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Athem, 'ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.' Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hieng sie wieder um den Hals, und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Athem schnappte, und sagte 'Spitzbube, jetzt gestehe wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals, und fange wieder an zu spielen.' 'Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen,' schrie er, 'du aber hasts redlich verdient.' Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen, und als einen Dieb aufhängen.



Auch konnte er es ihm nicht abschlagen, wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief ‘au weih! au weih! bindet mich an, bindet mich fest.’ Da nahm der gute Knecht seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich that, fieng alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber, und die Gerichtsdiener, und dem, welcher den Juden festbinden wollte, fiel der Strick aus der Hand; beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los, und machte sich zum Tanze fertig; bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe, und fieng an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorne, und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbei gekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße, und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die Köpfe stießen, und anfiengen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Athem, ‘ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.’ Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hieng sie wieder um den Hals, und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Athem schnappte, und sagte ‘Spitzbube, jetzt gestehe wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals, und fange wieder an zu spielen.’ ‘Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen,’ schrie er, ‘du aber hasts redlich verdient.’ Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen, und als einen Dieb aufhängen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0155" n="145"/>
Auch konnte er es ihm nicht abschlagen, wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief &#x2018;au weih! au weih! bindet mich an, bindet mich fest.&#x2019; Da nahm der gute Knecht seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich that, fieng alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber, und die Gerichtsdiener, und dem, welcher den Juden festbinden wollte, fiel der Strick aus der Hand; beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los, und machte sich zum Tanze fertig; bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe, und fieng an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorne, und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbei gekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße, und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die Köpfe stießen, und anfiengen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Athem, &#x2018;ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.&#x2019; Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hieng sie wieder um den Hals, und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Athem schnappte, und sagte &#x2018;Spitzbube, jetzt gestehe wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals, und fange wieder an zu spielen.&#x2019; &#x2018;Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen,&#x2019; schrie er, &#x2018;du aber hasts redlich verdient.&#x2019; Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen, und als einen Dieb aufhängen.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0155] Auch konnte er es ihm nicht abschlagen, wegen der Gabe, die dem Knecht verliehen war. Der Jude aber rief ‘au weih! au weih! bindet mich an, bindet mich fest.’ Da nahm der gute Knecht seine Geige vom Hals, legte sie zurecht, und wie er den ersten Strich that, fieng alles an zu wabern und zu wanken, der Richter, die Schreiber, und die Gerichtsdiener, und dem, welcher den Juden festbinden wollte, fiel der Strick aus der Hand; beim zweiten Strich hoben alle die Beine, und der Henker ließ den guten Knecht los, und machte sich zum Tanze fertig; bei dem dritten Strich sprang alles in die Höhe, und fieng an zu tanzen, und der Richter und der Jude waren vorne, und sprangen am besten. Bald tanzte alles mit, was auf den Markt aus Neugierde herbei gekommen war, alte und junge, dicke und magere Leute untereinander: sogar die Hunde, die mitgelaufen waren, setzten sich auf die Hinterfüße, und hüpften mit. Und je länger er spielte, desto höher sprangen die Tänzer, daß sie sich einander an die Köpfe stießen, und anfiengen jämmerlich zu schreien. Endlich rief der Richter ganz außer Athem, ‘ich schenke dir dein Leben, höre nur auf zu geigen.’ Der gute Knecht ließ sich bewegen, setzte die Geige ab, hieng sie wieder um den Hals, und stieg die Leiter herab. Da trat er zu dem Juden, der auf der Erde lag und nach Athem schnappte, und sagte ‘Spitzbube, jetzt gestehe wo du das Geld her hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals, und fange wieder an zu spielen.’ ‘Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen,’ schrie er, ‘du aber hasts redlich verdient.’ Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen, und als einen Dieb aufhängen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/155
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/155>, abgerufen am 22.12.2024.