Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

antwortete der Lange, 'das ist noch gar nichts, wenn ich mich erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang, und größer, als der höchste Berg auf Erden. Ich will euch gerne dienen, wenn ihr mich wollt.' 'Komm mit,' sprach der Königssohn, 'ich kann dich brauchen.' Sie zogen weiter, und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm 'bist du blind? oder hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?' 'Nein,' antwortete der Mann, 'ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt alsbald aus einander, solch eine große Gewalt liegt in meinem Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gerne dienen.' 'Komm mit,' antwortete der Königssohn, 'ich kann dich brauchen.' Sie zogen weiter, und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein, und zitterte, und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. 'Wie kannst du frieren?' sprach der Königssohn, 'die Sonne scheint ja warm genug.' 'Ach,' antwortete der Mann, 'meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir dann durch alle Knochen, und je kälter es ist, desto heißer wird mir, und mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.' 'Du bist ein wunderlicher Kerl,' sprach der Königssohn, 'aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.' Nun zogen sie weiter, und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, und schaute sich um, und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn 'wonach siehst du so eifrig?' Da antwortete der Mann 'ich habe so helle Augen, daß ich

antwortete der Lange, ‘das ist noch gar nichts, wenn ich mich erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang, und größer, als der höchste Berg auf Erden. Ich will euch gerne dienen, wenn ihr mich wollt.’ ‘Komm mit,’ sprach der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter, und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm ‘bist du blind? oder hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?’ ‘Nein,’ antwortete der Mann, ‘ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt alsbald aus einander, solch eine große Gewalt liegt in meinem Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gerne dienen.’ ‘Komm mit,’ antwortete der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter, und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein, und zitterte, und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. ‘Wie kannst du frieren?’ sprach der Königssohn, ‘die Sonne scheint ja warm genug.’ ‘Ach,’ antwortete der Mann, ‘meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir dann durch alle Knochen, und je kälter es ist, desto heißer wird mir, und mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.’ ‘Du bist ein wunderlicher Kerl,’ sprach der Königssohn, ‘aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.’ Nun zogen sie weiter, und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, und schaute sich um, und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn ‘wonach siehst du so eifrig?’ Da antwortete der Mann ‘ich habe so helle Augen, daß ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0276" n="266"/>
antwortete der Lange, &#x2018;das ist noch gar nichts, wenn ich mich erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang, und größer, als der höchste Berg auf Erden. Ich will euch gerne dienen, wenn ihr mich wollt.&#x2019; &#x2018;Komm mit,&#x2019; sprach der Königssohn, &#x2018;ich kann dich brauchen.&#x2019; Sie zogen weiter, und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm &#x2018;bist du blind? oder hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?&#x2019; &#x2018;Nein,&#x2019; antwortete der Mann, &#x2018;ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt alsbald aus einander, solch eine große Gewalt liegt in meinem Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gerne dienen.&#x2019; &#x2018;Komm mit,&#x2019; antwortete der Königssohn, &#x2018;ich kann dich brauchen.&#x2019; Sie zogen weiter, und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein, und zitterte, und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. &#x2018;Wie kannst du frieren?&#x2019; sprach der Königssohn, &#x2018;die Sonne scheint ja warm genug.&#x2019; &#x2018;Ach,&#x2019; antwortete der Mann, &#x2018;meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir dann durch alle Knochen, und je kälter es ist, desto heißer wird mir, und mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.&#x2019; &#x2018;Du bist ein wunderlicher Kerl,&#x2019; sprach der Königssohn, &#x2018;aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.&#x2019; Nun zogen sie weiter, und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, und schaute sich um, und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn &#x2018;wonach siehst du so eifrig?&#x2019; Da antwortete der Mann &#x2018;ich habe so helle Augen, daß ich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0276] antwortete der Lange, ‘das ist noch gar nichts, wenn ich mich erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang, und größer, als der höchste Berg auf Erden. Ich will euch gerne dienen, wenn ihr mich wollt.’ ‘Komm mit,’ sprach der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter, und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm ‘bist du blind? oder hast du blöde Augen, daß du nicht in das Licht sehen kannst?’ ‘Nein,’ antwortete der Mann, ‘ich darf die Binde nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt alsbald aus einander, solch eine große Gewalt liegt in meinem Blick. Kann euch das nützen, so will ich euch gerne dienen.’ ‘Komm mit,’ antwortete der Königssohn, ‘ich kann dich brauchen.’ Sie zogen weiter, und fanden einen Mann, der lag mitten im heißen Sonnenschein, und zitterte, und fror am ganzen Leibe, so daß ihm kein Glied still stand. ‘Wie kannst du frieren?’ sprach der Königssohn, ‘die Sonne scheint ja warm genug.’ ‘Ach,’ antwortete der Mann, ‘meine Natur ist ganz anderer Art, je heißer es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir dann durch alle Knochen, und je kälter es ist, desto heißer wird mir, und mitten im Eis kann ichs vor Hitze, und mitten im Feuer vor Kälte nicht aushalten.’ ‘Du bist ein wunderlicher Kerl,’ sprach der Königssohn, ‘aber wenn du mir dienen willst, so komm mit.’ Nun zogen sie weiter, und sahen einen Mann stehen, der machte einen langen Hals, und schaute sich um, und schaute über alle Berge hinaus. Sprach der Königssohn ‘wonach siehst du so eifrig?’ Da antwortete der Mann ‘ich habe so helle Augen, daß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/276
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/276>, abgerufen am 22.12.2024.