Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
188.
Spindel, Weberschiffchen und Nadel.

Es war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter als es noch ein kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pathe, die sich von Spinnen, Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an, und erzog es in aller Frömmigkeit. Als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett, und sagte 'liebe Tochter, ich fühle daß mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, und Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.' Sie legte noch die Hände auf seinen Kopf, segnete es und sprach 'behalte nur Gott in dem Herzen, so wird dirs wohl gehen.' Darauf schloß sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, gieng das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg, und erwies ihr die letzte Ehre.

Das Mädchen lebte nun in dem kleinen Haus ganz allein, war fleißig, spann, webte und nähte, und auf allem, was es that, ruhte der Segen der guten Alten. Es war als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst mehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich

188.
Spindel, Weberschiffchen und Nadel.

Es war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter als es noch ein kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pathe, die sich von Spinnen, Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an, und erzog es in aller Frömmigkeit. Als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett, und sagte ‘liebe Tochter, ich fühle daß mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, und Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.’ Sie legte noch die Hände auf seinen Kopf, segnete es und sprach ‘behalte nur Gott in dem Herzen, so wird dirs wohl gehen.’ Darauf schloß sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, gieng das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg, und erwies ihr die letzte Ehre.

Das Mädchen lebte nun in dem kleinen Haus ganz allein, war fleißig, spann, webte und nähte, und auf allem, was es that, ruhte der Segen der guten Alten. Es war als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst mehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0471" n="461"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">188.<lb/>
Spindel, Weberschiffchen und Nadel.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter als es noch ein kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pathe, die sich von Spinnen, Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an, und erzog es in aller Frömmigkeit. Als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett, und sagte &#x2018;liebe Tochter, ich fühle daß mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, und Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.&#x2019; Sie legte noch die Hände auf seinen Kopf, segnete es und sprach &#x2018;behalte nur Gott in dem Herzen, so wird dirs wohl gehen.&#x2019; Darauf schloß sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, gieng das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg, und erwies ihr die letzte Ehre.</p><lb/>
        <p>Das Mädchen lebte nun in dem kleinen Haus ganz allein, war fleißig, spann, webte und nähte, und auf allem, was es that, ruhte der Segen der guten Alten. Es war als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst mehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[461/0471] 188. Spindel, Weberschiffchen und Nadel. Es war einmal ein Mädchen, dem starb Vater und Mutter als es noch ein kleines Kind war. Am Ende des Dorfes wohnte in einem Häuschen ganz allein seine Pathe, die sich von Spinnen, Weben und Nähen ernährte. Die Alte nahm das verlassene Kind zu sich, hielt es zur Arbeit an, und erzog es in aller Frömmigkeit. Als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, erkrankte sie, rief das Kind an ihr Bett, und sagte ‘liebe Tochter, ich fühle daß mein Ende herannaht, ich hinterlasse dir das Häuschen, darin bist du vor Wind und Wetter geschützt, und Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit kannst du dir dein Brot verdienen.’ Sie legte noch die Hände auf seinen Kopf, segnete es und sprach ‘behalte nur Gott in dem Herzen, so wird dirs wohl gehen.’ Darauf schloß sie die Augen, und als sie zur Erde bestattet wurde, gieng das Mädchen bitterlich weinend hinter dem Sarg, und erwies ihr die letzte Ehre. Das Mädchen lebte nun in dem kleinen Haus ganz allein, war fleißig, spann, webte und nähte, und auf allem, was es that, ruhte der Segen der guten Alten. Es war als ob sich der Flachs in der Kammer von selbst mehrte, und wenn sie ein Stück Tuch oder einen Teppich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/471
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/471>, abgerufen am 22.12.2024.