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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

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denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern freuten sich so gewaltig daß sie ihm um den Hals fielen, und er war so bewegt in seinem Herzen daß er sie auf beide Wangen küßte, und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuß auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Händevoll der größten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wußten gar nicht was sie mit dem Reichthum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloß, mit Gärten, Wäldern und Wiesen, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter 'ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein.' Der Sohn war mit allem zufrieden was die Eltern wollten.

Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden, und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie 'gewiß hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküßt, und hat mich vergessen.' Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen, und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend gieng sie in die Stadt, und gieng an seinem Haus vorüber: er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie wie die Leute sagten 'morgen wird seine Hochzeit gefeiert.' Da sprach sie 'ich will versuchen ob ich sein Herz wieder gewinne.' Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring, und sprach 'ein Kleid

denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern freuten sich so gewaltig daß sie ihm um den Hals fielen, und er war so bewegt in seinem Herzen daß er sie auf beide Wangen küßte, und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuß auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Händevoll der größten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wußten gar nicht was sie mit dem Reichthum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloß, mit Gärten, Wäldern und Wiesen, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter ‘ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein.’ Der Sohn war mit allem zufrieden was die Eltern wollten.

Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden, und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie ‘gewiß hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküßt, und hat mich vergessen.’ Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen, und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend gieng sie in die Stadt, und gieng an seinem Haus vorüber: er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie wie die Leute sagten ‘morgen wird seine Hochzeit gefeiert.’ Da sprach sie ‘ich will versuchen ob ich sein Herz wieder gewinne.’ Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring, und sprach ‘ein Kleid

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[498/0508] denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern freuten sich so gewaltig daß sie ihm um den Hals fielen, und er war so bewegt in seinem Herzen daß er sie auf beide Wangen küßte, und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuß auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Händevoll der größten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wußten gar nicht was sie mit dem Reichthum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloß, mit Gärten, Wäldern und Wiesen, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter ‘ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein.’ Der Sohn war mit allem zufrieden was die Eltern wollten. Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden, und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie ‘gewiß hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküßt, und hat mich vergessen.’ Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen, und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend gieng sie in die Stadt, und gieng an seinem Haus vorüber: er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie wie die Leute sagten ‘morgen wird seine Hochzeit gefeiert.’ Da sprach sie ‘ich will versuchen ob ich sein Herz wieder gewinne.’ Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring, und sprach ‘ein Kleid

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/508>, abgerufen am 11.05.2024.