Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.kürzeste Gebet her, das es wußte, 'Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,' langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte, 'Zicklein, meck, Tischlein, weg.' Alsbald war das Tischchen und alles, was darauf stand, wieder verschwunden. 'Das ist ein schöner Haushalt' dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge. Abends, als es mit seiner Ziege heim kam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, dir ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen 'es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.' Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken brächte. Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach 'ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird. Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach 'komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.' Einäuglein setzte sich kürzeste Gebet her, das es wußte, ‘Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,’ langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte, ‘Zicklein, meck, Tischlein, weg.’ Alsbald war das Tischchen und alles, was darauf stand, wieder verschwunden. ‘Das ist ein schöner Haushalt’ dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge. Abends, als es mit seiner Ziege heim kam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, dir ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken brächte. Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird. Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0261" n="249"/> kürzeste Gebet her, das es wußte, ‘Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,’ langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte,</p><lb/> <lg type="poem"> <l>‘Zicklein, meck,</l><lb/> <l>Tischlein, weg.’</l><lb/> </lg> <p>Alsbald war das Tischchen und alles, was darauf stand, wieder verschwunden. ‘Das ist ein schöner Haushalt’ dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge.</p><lb/> <p>Abends, als es mit seiner Ziege heim kam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, dir ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken brächte.</p><lb/> <p>Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird. Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich </p> </div> </body> </text> </TEI> [249/0261]
kürzeste Gebet her, das es wußte, ‘Herr Gott, sei unser Gast zu aller Zeit, Amen,’ langte zu und ließ sichs wohl schmecken. Und als es satt war, sprach es, wie die weise Frau gelehrt hatte,
‘Zicklein, meck,
Tischlein, weg.’
Alsbald war das Tischchen und alles, was darauf stand, wieder verschwunden. ‘Das ist ein schöner Haushalt’ dachte Zweiäuglein und war ganz vergnügt und guter Dinge.
Abends, als es mit seiner Ziege heim kam, fand es ein irdenes Schüsselchen mit Essen, das ihm die Schwestern hingestellt hatten, aber es rührte nichts an. Am andern Tag zog es mit seiner Ziege wieder hinaus und ließ die paar Brocken, dir ihm gereicht wurden, liegen. Das erstemal und das zweitemal beachteten es die Schwestern gar nicht, wie es aber jedesmal geschah, merkten sie auf und sprachen ‘es ist nicht richtig mit dem Zweiäuglein, das läßt jedesmal das Essen stehen und hat doch sonst alles aufgezehrt, was ihm gereicht wurde: das muß andere Wege gefunden haben.’ Damit sie aber hinter die Wahrheit kämen, sollte Einäuglein mitgehen, wenn Zweiäuglein die Ziege auf die Weide trieb, und sollte achten was es da vor hätte, und ob ihm jemand etwa Essen und Trinken brächte.
Als nun Zweiäuglein sich wieder aufmachte, trat Einäuglein zu ihm und sprach ‘ich will mit ins Feld und sehen daß die Ziege auch recht gehütet und ins Futter getrieben wird. Aber Zweiäuglein merkte was Einäuglein im Sinne hatte und trieb die Ziege hinaus in hohes Gras und sprach ‘komm, Einäuglein, wir wollen uns hinsetzen, ich will dir was vorsingen.’ Einäuglein setzte sich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |